Eine bekannte Kärntner Sage bekommt ein neues Gesicht. Statt des Wörtherseemandls steht nun das Wörtherseeweibl im Mittelpunkt. Mit dieser künstlerischen Aktion will die feministische Gruppe Guerilla Grrlz Carinthia auf gesellschaftliche Ungleichheiten aufmerksam machen und zugleich ein starkes Zeichen für Veränderung setzen.
Ergänzt wird die Installation durch eine Abschrift der Neuerzählung sowie Symbole der Solidarität.
Die Aktivistinnen rücken mit ihren Aktionen zentrale Themen in den Vordergrund: den selbstbestimmten Umgang mit dem weiblichen Körper, das Aufbrechen von Tabus rund um Menstruation, den freien Zugang zu Hygieneprodukten, eine Aufklärung, die Lust nicht verschweigt, und die Forderung nach fairer Verteilung von Care-Arbeit und Erwerbsarbeit. Zudem geht es um die Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum und um das Recht auf Räume, in denen Frauen begehren dürfen und nicht nur begehrt werden.
Mit der Umdeutung der bekannten Sage verbinden die Guerilla Grrlz Carinthia eine klare Botschaft: Alte Geschichten können neu erzählt werden, als Spiegel aktueller gesellschaftlicher Fragen und als Anstoß für mehr Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit.
Die Sage vom Wörtherseeweibl: Eine feministische Neuerzählung
Seit vielen Generationen liegt dort, wo sich der Wörthersee ausdehnt, die mächtige Stadt Klagenfurt. Sie war einst reich geworden durch die klassische Dreieinigkeit von Patriarchat, Kapitalismus und Ausbeutung der Erde. Mensch und Natur waren zu Waren verkommen, das Leben selbst zu Profit für einige Wenige. Der Himmel war grau, die Böden ausgedörrt, die Stadt-Kassen leer, Frauen mehrheitlich unsichtbar und mundtot gemacht oder ausgelaugt in schlecht bezahlten Care-Jobs. Die Göttin - Sinnbild für Verbundenheit, Fruchtbarkeit und Gleichgewicht - war längst verdrängt worden. Ihr Platz: ausgelöscht, ersetzt durch abstrakte Götter des Patriarchats, der freien Märkte und Macht über Andere.
Zum alljährlichen Erntedankfest des Jahres 2025 – einem Event, das längst jede spirituelle Tiefe verloren hatte - versammelte sich die Elite der Stadt und des Landes im Prunkbau des Rathauses. Riesige Bildschirme flimmerten, Drohnen servierten synthetischen Wein, und zwischen klimatisierten Lounges lachte man über die Proteste der Frauen, die draußen gegen das Patriarchat und die Zerstörung der Erde demonstrierten.
Plötzlich öffneten sich die Türen lautlos. Herein trat eine alte, wettergegerbte Gestalt - das Wörtherseeweibl. Sie war keine Bittstellerin, keine Prophetin, sondern das verkörperte Gedächtnis der Frauen und der Erde. Ihr graues Haar trug Spuren von Erde und Salz, ihre Augen waren still und dunkel wie stehendes Wasser. Sie sprach leise, aber deutlich:
„Ihr habt das Maß überzogen. Die Erde ist keine Ware, das Leben kein Besitz. Achtet das Weibliche, das Wilde, das Weiche. Kehrt um. Noch habt ihr eine Wahl.“
Gelächter. Die mächtigen Gäste zogen die Augenbrauen hoch. „Öko-Esoterik!“, zischte jemand. „Fanatische Spinnerin!“, rief ein anderer. „Zurück in den Wald mit dir, Hexe!“ Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Saal.
Doch um Mitternacht öffneten sich die Türen erneut. Dieselbe Gestalt trat wieder ein. Sie trug ein langes Kleid aus Moos und Schlamm, aus Blut und Blüten, die Erde selbst war mit ihr. Mit ihrem schweren Stock zog sie einen Kreis um sich und rammte ihn drei Mal schwer in den Boden. Unendliche Stille breitete sich aus. Sie rief: „Die Erde lebt. Das Blut, das ihr vergießt, das Schweigen, das ihr den Frauen auferlegt - es wird zurückkehren. Die Quellen sind rot. Die Flüsse sprechen. Ihr wollt es nicht anders.“
Sie hob ihren langen Rock und ein rotes Rinnsal ergoss sich aus ihrer Vulva über den Boden. An dieser Stelle brach mit einem erschütternden Grollen eine Fontäne Wasser hervor - nicht klar, sondern rötlich, schwer wie altes Blut, durchsetzt mit den Tränen ungezählter Generationen. Das Rathaus wurde überflutet, noch ehe das Gelächter ganz verstummt war.
Am Morgen danach lag Stille über der Stadt. Hochmut und Missachtung regierten nicht mehr. Den Quellen des Wörthersees aber entsprang von nun an nur mehr blutrotes Wasser - als Mahnung. Und alle, die das Weibliche, die Erde und all ihre Kinder nicht achteten, konnten nicht mehr im roten Wasser des Sees baden oder mit ihren Motorbooten Kreise ziehen ohne einen schmerzhaften, juckenden Nesselausschlag davonzutragen. Seither ist der Wörthersee ein traumhaftes Bade- und Naturschutzparadies für Frauen und Kinder und die, die es gut mit ihnen und dem Leben meinen. Alle hässlichen Verbauungen um den See wurden abgerissen, sodass nun alle Menschen den See frei nutzen konnten.
Man sagt, das Wörtherseeweibl sei nicht verschwunden. Sie ruhe in der Tiefe, unter Steinen und Wurzeln. Und immer dann, wenn Gierige und Machthungrige wieder beginnen würden, die Erde, Frauen, Kinder, Tiere und das Wasser zu missachten, dann steige sie langsam auf - mit wilder weiblicher Kraft - aber niemals ohne Konsequenz.
Foto: zVg