Der „Spiegel“ schlägt wegen der Zuwanderung Alarm: „Die Situation in den Heimen und Lagern spitzt sich immer mehr zu, Meldungen über Saufereien und Raufereien häufen sich. In einigen Einrichtungen herrsche eine derart aufgeputschte Stimmung, berichtet der Essener Sozialdezernent Günter Herber, dass er es nicht mehr wage, da einen Sozialarbeiter hinzuschicken, das ist schon beinahe lebensgefährlich. Sein Kölner Amtskollege Lothar Ruschmeier bestätigt: Die Auswüchse gehen über das normale Maß hinaus. Städtische Bedienstete seien nachts überfallen und beraubt worden, Mitarbeiterinnen der Verwaltung würden sexuell belästigt.“ Außerdem, so das Hamburger Nachrichtenmagazin, „drängen die Zuzügler in ein Land, in dem der Arbeitsmarkt schon die Zuwanderer des vorigen Jahres nicht verkraften konnte.“ Die vielen Einwanderer drohten, „das Sozialsystem zu sprengen und den Arbeitsmarkt zum Kollabieren zu bringen“. Klingt furchtbar, oder? Nur blöd, dass der Artikel aus dem Jahr 1990 stammt und die Zuwanderer, vor denen der „Spiegel“ in apokalyptischer Sprache warnte, Deutsche waren. Ostdeutsche. Wir sehen: Die Sprache und die Ängste sind gleich geblieben, nur die Menschen, vor denen wir uns fürchten sollen, sind heute andere. Der deutsche Arbeitsmarkt ist nicht zusammengebrochen, die Sozialsysteme sind nicht kollabiert und die Ostdeutschen haben den Westdeutschen nicht Arbeit und Wohnung weggenommen. Vielleicht können wir daraus lernen, dass viele Ängste übertrieben sind und wir uns vor den Flüchtlingen gar nicht so fürchten müssen, wie es uns manche einreden wollen?
Das würde den Politikern natürlich nicht so recht passen. Menschen, die Angst haben, kann man besser übers Ohr hauen. Derzeit versuchen einige Parteien und Lobbyisten genau das. Weil sich viele Leute vor Flüchtlingen und Zuwanderern fürchten, nehmen sie diese Angst zum Vorwand, um Löhne und Sozialleistungen zu senken. Aktuell geistert die Idee herum, anerkannte Asylwerber sollten weniger Mindestsicherung bekommen als die Österreicher. Das klingt zunächst nicht unlogisch, da die Asylberechtigten ja noch nichts in die Sozialtöpfe eingezahlt haben, aber wenn man genauer hinschaut, steckt dahinter die Absicht, die Mindestsicherung für alle, also auch für Österreicher, zu kürzen. Denn eine selektive Kürzung für bestimmte Gruppen wird der Verfassungsgerichtshof mit Sicherheit nicht zulassen. Viele meinen nun, dass man ruhig auch den Österreichern diese Sozialleistung kürzen solle, denn der Abstand der Mindestsicherung zu Niedriglöhnen sei zu gering. Auch da lohnt sich ein genaueres Hinsehen. Was passiert wohl, wenn die Mindestsicherung sinkt? Die Löhne werden gleich mit sinken, denn je schlechter die Sozialleistungen, desto schwächer ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. „Aber was ist daran schlecht, wenn ich meinen Mitarbeitern weniger zahlen muss“, wird jetzt mancher Arbeitgeber fragen. Radio Eriwan würde antworten: „Im Prinzip nichts, solange Sie der einzige Chef sind, der weniger zahlt. Wenn aber alle weniger zahlen, wird Ihnen bald was Entscheidendes fehlen – die Kundschaft nämlich“.
Es ist erschütternd, wie wenige Politikerinnen und Wirtschaftsfunktionäre heute noch die volkswirtschaftlichen Grundzusammenhänge verstehen. Niedrige Löhne helfen allein der Exportindustrie, und auch das nur so lange, bis die Länder, in die man exportiert, die eigenen Löhne senken. Eine gesunde Wirtschaft lebt aber nicht vom Export alleine, sondern vor allem auch von der Binnennachfrage. Löhne und Sozialleistungen zu kürzen heißt nichts anderes, als den vielen klein- und Mittelständischen Unternehmen die Kundschaft wegzunehmen. Man schneidet sich damit ins eigene Fleisch.
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