Als ich in den 80er Jahren in Klagenfurt die Volksschule besuchte, hatten wir einen Lehrer, der ein ganz eifriger Deutschnationaler war. Er selbst hielt sich für einen Patrioten, aber der österreichische Nationalfeiertag interessierte ihn längst nicht so sehr wie der 10. Oktober. In den Wochen vor dem Kärntner Landesfeiertag ließ er uns oft das Kärntner Heimatlied mitsamt der vierten Strophe singen. „Wo man mit Blut die Grenze schrieb...“. Einmal malte dieser Lehrer, der auch ein Hobbykünstler war, mit farbiger Kreide ein riesiges Skelett auf die Tafel, das mit einem Messer zwischen den Zahnstumpen von Süden her über die Karawanken kletterte, um unschuldige Deutschkärntner zu morden. Oft erzählte dieser Lehrer von den fiesen Slowenen, die unser schönes Land besetzen wollten, und von Partisanen, die „unschuldige“ Kärntner getötet hätten, und irgendwie war das in seinen Erzählungen alles eins. Erster Weltkrieg, Abwehrkampf, Zweiter Weltkrieg, Partisanen - alles ein einziger langer Leidensweg der armen Deutschkärntner. Diese Art von Erziehung blieb nicht ohne Folgen. Lange hielt ich Slowenien für ein unheimliches dunkles Land, in dem Mörderskelette darauf lauerten, Kärntner zu erstechen, mit deren Blut sie das Wort „Grenze“ schreiben wollten.
Einige Jahre später lernte ich ein Mädchen kennen und lieben. Alles war super und ganz normal bis zu dem Tag, an dem sie mich mit zu sich nachhause nahm. Wir fuhren mit dem Bus in ein Dorf ein paar Kilometer südlich von Klagenfurt, wo ihre Eltern wohnten. Die waren sehr nett und lieb, aber als ich von einer Verdauungszigarette nach dem Essen in die Küche zurückkam, hörte ich sie Slowenisch miteinander reden. Ich war in die Höhle der Löwen geraten, wo die wohnten, vor denen mich einst der Volksschullehrer und viele Kärntner Politiker gewarnt hatten! Als tapferer, vor allem aber verliebter junger Klagenfurter ergriff ich nicht gleich die Flucht, sondern wollte diesen fremdartigen Wesen eine Chance geben. Es stellte sich rasch heraus, dass die sich überhaupt nicht von jenen Kärntnern, die nur Deutsch sprachen, unterschieden. Ganz normale Menschen in einem ganz normalen Haus, die ein ganz normales Leben führten. Fast ganz normal, denn später erfuhr ich, dass der Vater meiner Freundin in der Schule, beim Bundesheer und dann im Beruf immer wieder gehänselt und sogar benachteiligt worden war, nur weil er zufällig Slowenisch als zweite Muttersprache hatte.
Springen wir nun in die Gegenwart. Am 10. Oktober 2016 ist kaum noch was zu spüren von der bleiernen Schwere der Geschichte und dem Streit zwischen den Volksgruppen. Slowenien ist ein friedlicher Kleinstaat im Süden und dank der EU nicht einmal mehr richtiges Ausland. All die Kämpfe und Streitigkeiten um ein paar Quadratmeter Land und die Beschriftung von Ortstafeln wirken heute bizarr, ja fast verrückt. Freilich, man ist immer noch dankbar dafür, dass sich bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 fast 60 Prozent der Stimmberechtigten für den Verbleib Südkärntens bei Österreich aussprachen, was nicht zuletzt den Kärntner Slowenen zu verdanken ist, die mit beachtlichen 40 Prozent für Österreich votierten. Dass Kärntner und Slowenen aufeinander schießen, kann sich aber zum Glück niemand mehr vorstellen. Wir fahren ganz locker und ohne Passkontrolle über den Loibl und nirgendwo sind blutige Grenzlinien zu sehen. Während wir durch ein freies Kärnten und ein freies Slowenien fahren, die einander gute Nachbarn in Europa sind, verschwindet die Geschichte samt den Toten und dem Hass langsam im Rückspiegel.
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