Es ist bedauerlich und bizarr, dass wir in einer Zeit, in der die soziale Frage immer wichtiger wird und wir die Folgen des Klimawandels immer stärker am eigenen Leib zu spüren kriegen, genau jene Partei abwählen, die noch am ehesten für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einstand.
Die autoritäre Welt ist eine einfache Welt. Der Papa sagt, wir fahren nach Bibione? Wir fahren nach Bibione. Der Unteroffizier will, dass ich sinnlos im Kreis renne? Ich renne sinnlos im Kreis. Der Chef sagt, wir arbeiten heute bis 20 Uhr? Wir arbeiten bis 20 Uhr. Der „Führer“ sagt, wir sollen für das „Vaterland“ töten und sterben? Wir töten und sterben für das „Vaterland“. Der Imam sagt, wir sollen Ungläubige umbringen? Wir bringen Ungläubige um. Der Bundeskanzler sagt, wir bauen ein Stauwerk in der Hainburger Au? Wir bauen... kein Stauwerk in den Donauauen, denn ein Teil der Bevölkerung hat plötzlich „nein“ gesagt. Die Besetzung der Hainburger Au durch Umweltaktivisten war ein antiautoritärer Akt des zivilen Ungehorsams, der unter anderem dazu führte, dass sich die ersten grünen Listen zur „Grünen Alternative“ zusammenschlossen, aus der dann die Grünen hervorgingen, die 1986 erstmals in den Nationalrat einzogen. Die Geschichte der Grünen ist eine Geschichte des Widerstands gegen den Autoritarismus. Am Anfang der grünen Bewegung stand das Wort Hannah Arendts: „Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen (bei Kant)“.
Die Grünen waren auch eine Spätfolge der 68er-Bewegung. Diese hat, bei all ihren Irrungen und Wirrungen, eine enorm wichtige gesellschaftliche Veränderung bewirkt. Namentlich das Hinterfragen alter Autoritäten und Ordnungen brachte einen Modernisierungsschub, der erst das recht freie Leben ermöglichte, das wir heute in Österreich genießen. Dass der Mächtige nicht automatisch auch Recht hat, der Ältere nicht immer klüger ist als der Junge, die Religion Privatsache ist, Frauen nicht weniger wert sind als Männer und Minderheiten Rechte haben – all das drang erst ab 1968 ins Massenbewusstsein und schließlich in die Politik.
30 Jahre, nachdem die Grünen erstmals ins Parlament kamen, müssen sie es nun verlassen. Vielleicht nur vorübergehend, womöglich für immer. Die Liste Pilz ist kein Ersatz, sie ist etwas anderes als die Grünen. Man wird erst sehen, wohin diese neue Partei, die gar keine sein will und in der nur Pilz selbst alles entscheidet, sich entwickeln wird. Jedenfalls ist die Liste Pilz nicht antiautoritär wie die Grünen, sondern verkörpert das vermeintlich neue, in Wahrheit alte Modell der straff geführten Bewegung. Straff und männlich geführt wohlgemerkt. Das ist ja überhaupt der neue Trend. Die ÖVP, lange ein Zusammenschluss unterschiedlichster Interessensgruppen, Bünde und Landesorganisationen, ist jetzt die „Liste Kurz“ mit einem Chef, der umfangreiche Durchgriffsrechte hat. Die FPÖ war immer schon eine recht klare Führerpartei. Die SPÖ war früher mal autoritär, dann so halb antiautoritär und pluralistisch und ist jetzt wieder auf dem Weg zu strengen Hierarchien. Das Antiautoritäre, also das Hinterfragen der Obrigkeit, gerät ins Hintertreffen. Nicht nur bei uns, sondern weltweit. Und immer öfter sehen wir, wie Männer Frauen aus der Politik drängen.
Die Grünen haben im Wahlkampf einiges falsch gemacht, aber den Rauswurf aus dem Parlament haben sie nicht verdient. Man muss auch gar kein veganer und Fahrrad fahrender Sympathisant der Grünen sein, um ihr Ausscheiden zu bedauern. Als SPÖ und ÖVP 2014 die befristete Invalidenrente abschafften, hätten zehntausende Betroffene plötzlich hunderte Euro weniger pro Monat gehabt. Die Grünen zeigten diesen Gesetzes-Pfusch auf und bewahrten die Betroffenen vor dem Absturz ins Elend. Das ist nur ein Beispiel für das soziale Engagement, das diese Partei an den Tag legte – und das sie seltsamerweise nie groß bewarb.
Nicht alles, was Grüne je machten und taten, war gut. Es gibt genug Kritikpunkte und der Hang zum Moralisieren und zur „Volkserziehung“ ging nicht nur dezidierten politischen Gegnern dieser Partei auf den Senkel. Aber es ist bedauerlich und eigentlich bizarr, dass wir in einer Zeit, in der die soziale Frage immer wichtiger wird und wir die Folgen des Klimawandels immer stärker am eigenen Leib zu spüren kriegen, genau jene Partei abwählen, die noch am ehesten für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einstand.
Video: 25 Jahre Grüne im Parlament, aus dem Jahr 2011.