Wie reagiert man, wenn man ein Video von einem Selbstmordversuch mitten in Wien sieht? Halbwegs normale Menschen reagieren mit Entsetzen, Sorge und Mitgefühl. Ganz anders allzu viele Fans von Heinz-Christian Strache. Der FPÖ-Chef postete auf seiner Facebookseite ein Video, das einen jungen Syrer zeigte, der sich vor eine Straßenbahn warf und dann aufs Dach der Zuggarnitur kletterte, um nach den Stromkabeln zu greifen. Der junge Mann hatte gerade erfahren, dass sein Vater bei einem Bombenangriff der syrischen Armee ums Leben gekommen war. Unter dem Video schrieben Straches Fans dann hunderte Postings, die einander an Unmenschlichkeit zu überbieten versuchten. „Kopfschuss fertig“; „Drüberfahren und gut ist“; „Einfach drüberfahren, den vermisst eh keiner haha“; „Hoffentlich ist er hin“... so und so ähnlich ging das immer weiter. Selten zuvor sah man dermaßen viel Entmenschlichung und Herzlosigkeit auf einem Fleck.
Aber es wurde noch schlimmer. Strache bzw seine Facebook-Crew gebot dem virtuellen Lynchmob nicht etwa Einhalt, sondern löschte im Gegenteil sofort alle Kommentare, die zur Mäßigung und Besinnung aufriefen. Die FPÖ behauptet nun, sie sei mit dem Löschen all der bösartigen Postings nicht hinterher gekommen. Eine seltsame Ausrede, denn jene Postings, die zur Zurückhaltung mahnten, verschwanden sofort. Und selbst wenn es stimmen würde, hieße es, dass Strache nicht einmal seine eigene Facebookseite im Griff hat. Wie will er Österreich regieren, wenn er schon an der Moderation seines Internetauftritts scheitert?
Tagespolitik beiseite: Was sind das für Leute, denen zu einer Verzweiflungstat eines Mitmenschen nichts anders einfällt als nackte Mordlust? Was ist bei denen falsch gelaufen? Und: Wie gefährlich sind die? Mir jagt es Angst ein, wenn ich bedenke, dass da womöglich auch Nachbarn und Bekannte mitgehetzt haben. „Einfach drüberfahren, haha“ - das ist eine dermaßen kranke Reaktion auf einen Menschen in tiefster seelischer Not, dass einem ganz schlecht wird davon. Wie führen sich solche Leute erst auf, wenn sie echte Macht über andere haben? Jedenfalls beantworten die Postings auf Straches Facebookseite die Frage, wo im Falle einer Diktatur immer all die Folterknechte, Lagerwächter und Henker herkommen. Die müssen gar nicht erst von irgendwo importiert werden, die leben offenbar schon mitten unter uns.
Der FPÖ-Facebookskandal löst eine neue Diskussion darüber aus, wie wir mit Hasspostings im Internet umgehen sollten. Das sollen die Rechtsexperten und die, die sich dafür halten, ruhig debattieren, aber ich fürchte, mit Gesetzen allein wird man da nicht weit kommen. Wenn Leute mit Klarnamen und Foto anderen Menschen völlig ohne Bedenken den Tod wünschen, dann können Gerichte auch nicht mehr viel retten. Das sind Menschen, die schon dermaßen verhetzt sind, dass sie andere Menschen, vor allem Flüchtlinge, gar nicht mehr als richtige Mitmenschen wahrnehmen und daher glauben, gegen diese Menschen alles sagen zu dürfen. Und vielleicht auch tun zu dürfen. Ob man von so einer Verrohung der Seele wieder genesen kann?