Immer mehr Jugendliche werden Opfer extremer Gewalt, die von anderen Jugendlichen ausgeht. Wir dürfen nicht länger wegschauen!
Dass eine Gesellschaft in großen Schwierigkeiten steckt, erkennt man unter anderem daran, wenn sie tatenlos zuschaut, wie ihre Kinder sterben. Vorigen Freitag erschoss ein 17-Jähriger in einer Schule in der texanischen Stadt Santa Fe neun seiner Mitschüler und einen Lehrer. Das war das 23. Mal in diesem Jahr, dass an amerikanischen Schulen tödliche Schüsse fielen. Und wir haben erst Mai. Die „Washington Post“ hat berechnet, dass 2018 bereits mehr Kinder in ihren Schulen erschossen wurden, als amerikanische Soldaten in Afghanistan und Irak fielen. Nachdem am 14. Februar in Florida 17 Kinder und Jugendliche erschossen worden waren, gingen Millionen Schülerinnen und Schüler auf die Straßen und forderten die Politiker auf, endlich zu handeln. Es geschah: nichts. Bis dann Santa Fe geschah. Und jetzt wird wieder nichts geschehen, bis das nächste Massaker verübt wird. Amerikas politische Klasse schaut tatenlos dabei zu, wie die amerikanische Jugend massenweise ermordet wird. Tod durch Schusswaffen, sei es als Opfer eins Amoklaufes oder durch Suizid oder Unfälle, ist mittlerweile die wahrscheinlichste Todesursache für Kinder in den USA. Erst vor wenigen Tagen ist US-Präsident Donald Trump vor Vertretern der Waffenlobby NRA aufgetreten und hat denen versprochen, dass sich nichts ändern wird.
Wir Europäer haben freilich keinen Grund, arrogant auf „die Amis“ zu zeigen. Auch bei uns häufen sich die Fälle, in denen junge Menschen durchdrehen und Amok laufen. Oder, wie gerade in Wien geschehen, das Nachbarkind erstechen, weil sie „schlecht drauf“ sind. In den meisten europäischen Ländern ist es schwerer als in den USA, an Schusswaffen zu kommen, was wohl der Hauptgrund dafür ist, dass regelrechte Massaker bei uns seltener vorkommen als in Amerika. Aber töten kann man auch mit Messern, morden kann man auch mit Baseballschlägern. Die Hemmschwelle ist bei Schusswaffen geringer, da man zu den Opfern einige Meter Abstand halten kann. Strenge Waffengesetze sind kein Allheilmittel, aber sie können wenigstens verhindern, dass sich Amokläufer bis an die Zähne bewaffnen. Vor einer Frage werden wir uns aber nicht drücken können: Was treibt eine zum Glück winzige, aber dafür sehr gefährliche Zahl von Jugendlichen zu diesen extremen Taten?
Theorien über die Beweggründe von Amokläufern gibt es viele. Manche Experten meinen, es habe immer schon eine gewisse Zahl von Massenmördern gegeben, doch seien die in früheren Zeiten, als es alle paar Jahre Kriege gab, nicht so aufgefallen wie heute. Andere sagen, die Schul-Massaker seinen eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die immer brutaler zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ unterscheide und dadurch einen ständigen Grundton der Angst schaffe, der instabile Charaktere zum Durchdrehen bringe. Was auch immer hinter den Taten stecken mag, eines ist leider klar: Wir werden nie alle verhindern können. Was wir machen können, ist jungen Menschen Perspektiven zu geben und ihnen zu vermitteln, dass es okay ist, mit anderen über Kränkungen und Probleme zu reden. Und wenn einer Hilfe braucht, weil er sich einbildet, er habe keine Zukunft, dann soll er Hilfe kriegen! Dazu müssen wir nicht nur mehr in die Versorgung junger Menschen mit Psychologinnen und Sozialarbeitern investieren, sondern auch uns selbst fragen, was für ein Bild von „Männlichkeit“ wir jungen Leuten immer noch vermitteln. 99 Prozent aller Amokläufer sind nämlich jugendliche Männer, die zuvor alles in sich hineingefressen haben, weil „ein echter Mann“ halt angeblich nicht über seine Probleme redet.
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