FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky hat den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zum Rücktritt aufgefordert, weil dieser laut Vilimsky beim NATO-Gipfel in Brüssel vorige Woche betrunken gewesen sei. Zwar leidet Juncker seit Jahrzehnten an Ischias und habe, so seine Ärzte, am betreffenden Tag einen akuten Krampf gehabt, aber Vilimsky kann das sicher besser beurteilen, denn er hat zwar nicht Medizin studiert, aber immerhin ein Wirtschaftsstudium abgebrochen. Die FPÖ sollte beim Thema Alkohol übrigens sehr leise treten, weil: dünnes Eis! Die Fraktion im Europaparlament, der die FPÖ angehört, hat allein im Jahr 2016 nicht weniger als 234 Flaschen Champagner auf Kosten der europäischen Steuerzahler geleert. Insgesamt 427.000 Euro soll Vilimskys Fraktion für Schampus und Luxusmenüs um bis zu 400 Euro pro Person verbraten haben. Es gibt außerdem zahlreiche Videos von FPÖ-Politikern, bei denen man diesen mit etwas bösem Willen durchaus unterstellen könnte, nicht ganz nüchtern gewesen zu sein. Es ist schon recht seltsam, dass sich ausgerechnet die FPÖ, die ansonsten gerne gegen Rauchverbote und für das Bier zum Schweinsbraten kämpft, als Moralapostel aufspielt.
Einmal ganz davon abgesehen, ob Jean-Claude Juncker an jenem Tag betrunken war oder nicht: Alkoholismus ist eine Krankheit, Ischias ist auch eine. Unzählige Politikerinnen und Politiker leiden an diesen und anderen Erkrankungen. Sollen die jetzt alle zurücktreten? Warum denn bitte? Weil die FPÖ plötzlich, wenn es um einen politischen Gegner geht, eine Übersättigung mit Moralinsäure erleidet? Sind kranke Menschen in den Augen der FPÖ weniger wert als gesunde? Wenn einer krank ist, vielleicht sogar chronisch krank, und er kann und will immer noch arbeiten, dann sollte er das dürfen! Man sollte ihn dafür nicht verhöhnen, sondern ihn für sein Durchhaltevermögen respektieren. Infrastukturminister Norbert Hofer von der FPÖ muss seit einem Paraglider-Unfall am Stock gehen. Er war eine Zeit lang so krank, dass ihm sogar eine Invaliditätspension zugesprochen wurde. Soll er nun auch zurücktreten? Ich meine, man sollte Politikerinnen und Politiker an ihren Taten messen und nicht nach ihrem Gesundheitszustand. Und was den Alkohol betrifft, diese Volksdroge Nummer 1, sei an ein altes russisches Sprichwort erinnert: „Ein besoffenes Genie ist immer noch klüger als ein nüchterner Trottel“.
Die ganze Sache riecht mal wieder nach der Doppelmoral, die man von der FPÖ leider kennt: „Was wir dürfen, dürfen die andren noch lange nicht“. Oder, angepasst an das Thema: „Wasser predigen und Champagner saufen“. Es wäre besser für die politische Kultur, wenn man in der politischen Auseinandersetzung auf die Moralkeule verzichten würde. Sachliche Kritik, auch sehr harte, ist ebenso willkommen wie Polemik, aber Menschen aufgrund ihrer Krankheiten anzugreifen, ist verlogen und falsch. Vor allem dann, wenn diese Angriffe auf Vermutungen oder Unterstellungen beruhen. Politiker sollen nicht stehlen oder ihr Land ruinieren, möglichst wenig lügen und die Interessen ihrer Wähler und, im Idealfall, des ganzen Landes vertreten. Ob sie saufen oder Ischias haben, schwul sind oder hetero, Männlein oder Weiblein, athletisch oder dick ist völlig egal.
Kontakt:redaktion@mein-klagenfurt.at