Es gibt mehrere Gründe dafür, warum die Natur den Menschen nicht durchsichtig gemacht hat. Einer davon ist, dass das, was unter der Haut verborgen liegt, nicht sonderlich schön aussieht. Muskelfasern und Fettgewebe, gewundene Därme und schwabbelige Organe, schleimige Sekrete und ganz viel Blut – von Innen sehen wir aus wie die Vitrine beim Fleischhauer. Wir haben aber noch ein anderes Innenleben, nämlich das unserer geheimen Wünsche und unserer kleinen Lügen und Missetaten. Und dieses ganz Private wollen immer mehr Regierungen ans Licht der Überwachung zerren.
Der gläserne Bürger wird Realität. In China wurde die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger bereits umgesetzt. Der chinesische Staat weiß ganz genau, was jeder einzelne Mensch macht und wann er es macht. Jede Regung und Äußerung jedes Menschen, ob im Kaffeehaus oder im Internet, wird zentralisiert zusammengetragen und von Computerprogrammen ausgewertet. Die Regierung weiß, was man kauft, was man isst und trinkt, was man in Chatrooms schreibt, ob man ein braver Arbeiter ist und ob man gesund oder krank ist. Die Computer der Regierung verpassen den Menschen dann einen Rang in einer großen Bonus-Malus-Rechnung. Wer nie die Herrschenden kritisiert und so lebt, wie es die Regierung will, kriegt Pluspunkte. Wer aufmüpfig ist und sich nicht anpasst, landet rasch im Minus und kommt auf eine Liste mit potenziellen „Gefährdern“.
Diese totale Überwachung ist bei uns noch Zukunftsmusik, aber auch bei uns wollen viele Politiker immer weiter ins Privatleben der Staatsbürger eindringen. Argumentiert wird die Beobachtung des Staatsvolkes mit „Sicherheit“. Weil viele Menschen Angst vor Terrorismus und anderer Kriminalität haben, gibt es bislang nicht viel Widerstand gegen den Schnüffelstaat. Immerhin, so versichern die Politiker, ginge es nur gegen Verbrecher, und wer könnte was dagegen haben, wenn Verbrecher effizienter verfolgt werden?
Das Problem: Wenn wir es ganz genau nehmen, sind wir fast alle „Verbrecher“. Fast jeder von uns macht hin und wieder Sachen, die nicht legal sind. Man fährt schneller, als es erlaubt ist; man schwindelt ein bisschen bei der Steuererklärung; man stößt im Zorn oder unter Alkoholeinfluss eine Drohung gegen einen Politiker aus; man liket auf Facebook ein Posting, das als „Volksverhetzung“ gilt; man probiert als junger Mensch mal Haschisch und so weiter und so fort. Und dann gibt es noch Sachen, die zwar legal sind, von denen wir aber möchten, dass sie privat bleiben. Nicht wenige Menschen würden vor Scham im Boden versinken, würde etwa der Verlauf ihres Internetbrowsers veröffentlicht werden. Viele machen im Schlafzimmer Sachen, die zwar gegen kein Gesetz verstoßen, aber auf andere Menschen sehr seltsam wirken. Wie würde man sich wohl fühlen, wenn der Staat über jede sexuelle Vorliebe und jeden Fetisch Bescheid wüsste?
Genau das wird aber passieren, wenn wir den Überwachungsgelüsten der Politik keine Absage erteilen. Die Technik, um uns jede Privatsphäre zu nehmen, existiert bereits. Sollten wir uns einlullen lassen vom Versprechen, mehr Überwachung bedeute mehr Sicherheit, werden wir in einem Alptraum aufwachen. Wir werden dann vielleicht mehr Sicherheit haben, aber es wird die Sicherheit von Zootieren sein, die rund um die Uhr beobachtet werden. Sicherheit, die wir mit dem Verlust der Freiheit erkaufen, ist keine.
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