Meinungsfreiheit ist eine wunderbare und wichtige Sache. So wunderbar und wichtig, dass Menschen dort, wo es sie nicht gibt, für sie ins Gefängnis gehen oder ermordet werden. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, dass jede Meinung gleich viel wert ist. Meinungsfreiheit bedeutet auch nicht, dass man unwidersprochen lügen darf. Der Arzt weiß mehr über Medizin und den menschlichen Körper als der Wünschelrutengeher, deswegen hat die Meinung des Arztes über Impfungen mehr Gewicht. Astronomen und Geographen wissen mehr über die Gestirne und über die Erde als Leute, die auf Youtube ein Video gesehen haben und dann glauben, die Erde sei flach. Wenn von 100 Wissenschaftlern, die sich mit dem Klima beschäftigen, 99 sagen, der Mensch sei der Hauptverursacher des Klimawandels, dann kann man zwar der Meinung sein, das stimme nicht, aber diese Meinung steht halt auf tönernen Füßen. Eine Meinung zu haben heißt noch lange nicht, dass man auch Recht hat.
Oft ist das, was manche „Meinung“ nennen, gar keine solche, sondern eine Lüge. Wenn Leute behaupten, der Holocaust habe nie stattgefunden oder in der Sowjetunion habe es keinen stalinistischen Terror gegeben, hat das mit einer Meinung nicht mehr viel zu tun, denn diese Verbrechen sind sehr gut belegt. Wir kennen die Namen der Ermordeten, ihre Geburtsurkunden und, dem bürokratischen Eifer der Mörder sei Dank, meist auch die Sterbebescheinigungen. Wenn man das Gegenteil dessen behauptet, was die Forschung belegt hat, dann vertritt man keine Meinung, sondern lügt. Zu lügen hatte bis vor gar nicht so langer Zeit Konsequenzen. Wurden Politiker dabei ertappt, mussten sie zurücktreten. Druckten Zeitungen allzu dicke Lügengeschichten, brach die Auflage ein. Lügen hatten Folgen für die Lügner.
Das hat sich geändert. Ob es das Internet ist, in dem jeder eine „Wahrheit“ finden kann, die zu seinen Vorurteilen passt? Oder populistische Politiker auf allen Seiten des politischen Spektrums, die nicht mal mehr erröten, wenn sie die abenteuerlichsten Lügen verbreiten? Wer oder was wirklich schuld ist, wissen wir nicht. Was man aber beobachten kann, ist der Rückzug dessen, was man den „Konsens der Wirklichkeit“ nennen könnte. Darunter ist zu verstehen, dass Menschen wissenschaftliche Fakten grundsätzlich anerkennen. Wer diese Fakten anerkennt, kann dazu immer noch seine eigene Meinung haben, aber Meinungsverschiedenheiten beruhen dann zumindest auf einem gemeinsamen Fundament. Wenn sich aber immer mehr Menschen aus dem „Konsens der Wirklichkeit“ verabschieden, wird aus einer Meinungsverschiedenheit ein Glaubensstreit, wird aus Meinung Aberglaube und aus Wissen Vorurteil. Das ist extrem gefährlich, denn wo die Wahrheit nichts mehr zählt, steht eine mit Fakten untermauerte Meinung gleichberechtigt neben den irrsten Fantasien und Lügen. Konkretes Beispiel: Obwohl die Kriminalitätsrate seit vielen Jahren sinkt, erwecken Politiker und Medien den Eindruck, es gäbe immer mehr Verbrechen. Konfrontiert man diese Politiker und Medien dann mit der Kriminalstatistik, kontern sie damit, es gäbe eine „gefühlte Wahrheit“. Eine „gefühlte“ Wahrheit aber ist keine. Sie ist das Produkt von Lügen und Übertreibungen. Wo große Teile der Bevölkerung belogen werden und diese Lügen auch noch glauben, ist kaum noch ein sachlicher Meinungsaustausch möglich. Das ruiniert auf Dauer die Demokratie und ebnet politischen Abenteurern, Verrückten und Verbrechern den Weg.
Kontakt:redaktion@mein-klagenfurt.at