Unrechtsstaaten heißen so, weil in ihnen statt des Rechts im Sinne eines demokratischen Rechtsstaates Willkür herrscht. Ein Unrechtsstaat ist einer, wo die Herrschenden darüber bestimmten, wer welche Rechte hat, und wo die Justiz eine Erfüllungsgehilfin der Mächtigen ist. In einem demokratischen Rechtsstaat haben alle Menschen verfassungsmäßig garantierte Grundrechte, die nicht einfach nach Lust und Laune der Politiker außer Kraft gesetzt werden können. Wenn nun Innenminister Herbert Kickl sagt, er glaube „immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, muss man kein Alarmist sein, um zu begreifen: Hier will einer dem Rechtsstaat an den Kragen, hier will einer den Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandeln. Dieser Verdacht liegt auch nahe, weil Kickl im selben Interview die Europäische Menschenrechtskonvention in Zweifel gezogen hat.
Es gilt nun, Klartext zu sprechen, auch wenn die FPÖ empört aufjault und ihre Koalitionspartnerin, die ÖVP, sich fest die Ohren zuhält: Der Wunsch, die Politik möge über dem Recht stehen, war der Kerngedanke der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie. Herbert Kickl missachtet, wenigstens verbal, nicht nur eindeutig die österreichische Verfassung, in deren Artikel 18 es heißt, „die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden“. Er denkt offenbar auch in juristischen Kategorien, die wir nach 1945 überwunden zu haben glaubten.
Herbert Kickl ist als Innenminister nicht mehr tragbar. Bundeskanzler Sebastian Kurz sollte ihn umgehend entlassen und am besten die unselige Koalition mit einer Partei, deren Spitzenfunktionäre einfach nicht lernfähig sind und immer wieder am Fundament unserer Demokratie rütteln, beenden.
Das alles ist kein Spaß und es geht hier nicht um Parteipolitik. Hier geht es ans Eingemachte, um die Frage, ob wir unseren Rechtsstaat verteidigen wollen oder ob wir vor denen, die ihn abschaffen möchten, die Waffen strecken. Als die Nazis an die Macht kamen, war eine ihrer ersten Handlungen, den Rechtsstaat zu pervertieren und durch einen Unrechtsstaat zu ersetzen, in dem eben nicht alle Bürger dieselben Rechte hatten. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden vom gleichberechtigten Zugang zum Gesetz ausgeschlossen, was ihre Ermordung vorbereitete. Die Justiz, so schrieben die Nazis 1935 in ihre „Änderung des Strafgesetzbuches“, habe sich in Hinkunft nicht nur am Recht, sondern vor allem am „gesunden Volksempfinden“ zu orientieren. Der schwammige Begriff vom „gesunden Volksempfinden“ sollte, wie mehrere Rechtshistoriker nachwiesen, den Durchgriff der NSDAP auf die Justiz sichern, denn als „gesundes Volksempfinden“ galt natürlich nur, was mit der NS-Ideologie übereinstimmte. Übrigens: Auch in kommunistischen Diktaturen, arabischen Despotien und islamistischen Gottesstaaten gibt es keinen Rechtsstaat.
Die Europäische Menschenrechtskonvention trat 1953 in Kraft und sollte verhindern, dass auf europäischem Boden jemals wieder Menschen so entrechtet würden, wie es im Faschismus geschehen war. Die Menschenrechtskonvention garantiert unter anderem: Das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit, Das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Und jetzt stellt sich die Frage, warum ein österreichischer Innenminister diese Rechte schlecht findet und wodurch er sie ersetzen möchte.
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