Manche haben es noch nicht bemerkt, aber die Not ist nach Europa zurückgekehrt. Immer mehr Menschen in Europa leben in Verhältnissen, die wir für immer überwunden geglaubt hatten. Die Krise frisst immer größere Löcher in die sozialen Netze und die, denen es noch gut geht, haben Angst davor, es könne bald vorbei sein mit dem Wohlstand. Vielleicht reagieren deswegen manche Menschen mit Zorn statt mit Mitgefühl, wenn sie Bettler sehen, weil die uns nämlich schmerzhaft in Erinnerung rufen, dass auch unser gutes Leben nicht mehr sicher ist, dass auch wir schon bald gezwungen sein könnten, uns so weit zu erniedrigen, dass wir um milde Gaben bitten müssen?
Niemand, auch keine Roma aus Südosteuropa, hockt sich gerne stundenlang vor einen Supermarkt und wartet darauf, dass einem jemand ein paar Cents zuwirft. Das macht man nur dann, wenn einem sonst nichts mehr übrig bleibt. Wer einmal gesehen hat, wie die Menschen, die bei uns betteln, in ihrer Heimat leben, wer die Wellblechhütten im Schlamm, die hungrigen Kinder und die unbehandelten Kranken gesehen hat, der wird nicht mehr so leichtfertig den Stab über jene brechen, die dorthin fahren, wo sie so viel Reichtum sehen, und von diesem Reichtum ein paar Euro abkriegen wollen. Mitten in Europa, in Mitgliedsländern der EU, müssen Menschen in manchen Gebieten so leben, wie man es bislang nur von Berichten aus der Dritten Welt kannte. Es sind Menschen, die zum Beispiel in Bulgarien 60 Euro Rente beziehen, aber in den Supermärkten gleich viel für Lebensmittel zahlen sollen wie bei uns.
Die Bettler, die manchen von uns so furchtbar auf den Geist gehen, sind wie Vorboten einer bösen Zukunft. In der Tat macht sich auch in Österreich immer mehr wirtschaftliches Elend breit. Monat für Monat steigen die Arbeitslosenzahlen während gleichzeitig die Sozialleistungen abgebaut werden. Zehntausende Österreicherinnen können sich im Winter das Heizen nicht mehr leisten, immer mehr Leuten wird der Strom abgedreht, immer öfter verlieren Menschen ihre Wohnung. Gleichzeitig, und das ist das wahre Problem, werden einige immer reicher. In Österreich und in ganz Europa gibt es immer mehr Millionäre und Milliardäre, und weil die Verarmung der einen und der immer größere Reichtum der anderen zeitlich zusammenfällt, lässt das den Schluss zu, dass wir ein massives Gerechtigkeitsproblem haben. Wenn wir sagen, wir wollen keine Bettler haben, dann müssen wir dafür sorgen, dass es in diesem reichen Europa gerechter zugeht, damit niemand mehr betteln gehen muss. Wir müssen die Armut bekämpfen und nicht die Armen. Ich weiß, eine verrückte Idee, geht zurück auf einen Zimmermann aus Galiläa, der vor zweitausend Jahren schon meinte, dass Teilen eine gute Sache wäre. Vielleicht sollten wir uns öfter an diesen Kerl, der übrigens schon als Baby ein Flüchtling war und ein Asylant, und seine Ansichten erinnern bevor wir nach immer strengeren Gesetzen gegen die Bettler und andere Arme rufen?
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