Ich war nie ein Nationalist, der geglaubt hätte, Österreich wäre besser als alle anderen Länder. Aber ich war und bin ein Patriot, denn Österreich war mein bisheriges Leben lang ein Land, auf das man stolz sein konnte. Natürlich war es kein perfektes Land, selbstverständlich gab es immer auch Sachen, die übel waren, aber alles in allem war Österreich ein guter Ort: Ein kleines, aber feines Land mitten in Europa, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer fleißigen Bevölkerung und weitsichtigen Politikern einen Platz unter den reichsten, sozial gerechtesten, sichersten und geachtetsten Staaten der Welt erkämpfte. Ich habe mich nie dafür geschämt, Österreicher zu sein. Bis vorigen Samstag. Als ich sah, wie Österreichs Außenministerin Karin Kneissl vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Knie sank und ihr Haupt senkte, fühlte ich brennende Scham und Wut. Diese Unterwerfungsgeste empfand ich als Demütigung Österreichs, ja als Verrat an diesem wunderbaren Land, meinem Heimatland.
Die Verharmloser waren rasch zur Stelle. Das sei doch nur ein normaler Knicks gewesen, wie man in der Tanzschule lernt, behaupten sie. Das wäre so, wenn Karin Kneissl nicht die Außenministerin von Österreich und der Mann, vor dem sie auf die Knie fiel, nicht der russische Präsident wäre. Und sicher, bei einer Hochzeit ist man euphorisiert und aufgeregt, aber wenn man sich nicht so weit im Griff hat, zu bedenken, dass man als Außenministerin im Focus der Weltpresse steht, dann ist man für das Amt nicht tauglich. Wenn man nicht bedenkt, wie so ein „Knicks“ wirkt in einer Welt, in der sich viele demokratische Staaten gegen russische Einmischung und Unterwanderungsversuche wehren müssen, hat man in der österreichischen Spitzenpolitik nichts verloren.
Der Kniefalls Kneissls wäre in jedem Fall und mit jedem anderen ausländischen Staatschef ein Skandal, aber er ist ein beispielloser Fehltritt und ein Rücktrittsgrund, weil Wladimir Putin kein normaler Politiker und Präsident ist. Kein anderer derzeit regierender Präsident hat so viel Blut an den Händen wie Putin. Kein anderer derzeit regierender Staatschef lässt so ungeniert Kritiker ermorden und einsperren wie Putin. Und kein anderer Präsident hat sein Volk dermaßen schamlos beraubt wie Putin. Wladimir Putin, dessen Privatvermögen man nur schätzen kann – Experten reden von 40 bis 200 Milliarden Dollar – hat in Tschetschenien den brutalsten Krieg des bisherigen 21. Jahrhunderts geführt. Rund 200.000 Tschetschenen kamen bei diesem Krieg, den die Gesellschaft für bedrohte Völker einen „schleichenden Völkermord“ nannte, ums Leben. In Syrien führt Putin Krieg auf der Seite des Diktators Bashar al-Assad. Bisherige Bilanz: Rund 150.000 Tote. Und dann wäre da noch der Krieg in der Ukraine, der immer noch weitergeht. In diesem Krieg hat Putin mit der Halbinsel Krim einen Teil eines anderen Staates annektiert und unterstützt in der Ostukraine Separatisten. Bisherige Zahl der Todesopfer: 10.000. Putin schreckt auch nicht davor zurück, Menschen auf dem Territorium anderer souveräner Staaten mit chemischen Kampfstoffen ermorden zu lassen. In Russland selbst die ist Menschenrechtslage katastrophal. Es gibt keine freie Presse und keine unabhängigen Gerichte mehr. Regierungskritiker landen im Gefängnis oder im Sarg. Seit Putins Amtsantritt wurden mehr als 20 Journalistinnen und Journalisten, die an Geschichten über die weit verbreitete Korruption in Russland arbeiteten, ermordet.
Österreichs Außenministerin ging also öffentlich vor jenem Mann in die Knie, der das Blut hunderttausender Menschen an den Händen hat. Sie kniete vor einem Despoten, der keine Opposition duldet und der sein Modell der freiheitsfeindlichen Pseudodemokratie in möglichst viele andere Länder exportieren will. Sie beugte ihr Haupt vor dem Mann, der einen souveränen europäischen Nachbarstaat überfallen und besetzen ließ. Österreich ist jetzt in der westlichen Welt diplomatisch erledigt. Keiner nimmt uns mehr ernst und die Arbeit von Jahrzehnten ist zunichte gemacht worden. Die „Washington Post“ berichtete noch kurz vor Kneissls Hochzeit, dass westliche Geheimdienste keine Informationen mehr an Österreich weiterleiten, weil man befürchte, diese würden direkt an Putin weitergeleitet werden. Man kennt nämlich das enge Verhältnis der FPÖ zu Russland. Wie kann die ÖVP, die immer für eine Westanbindung Österreichs war, das zulassen? Wo ist der Aufschrei der Patrioten, die es nicht ertragen, wie Österreich von der FPÖ verraten und gedemütigt wird?
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