Als ich ein Kind war konnte sich mein Großvater, der die Ideologie der Nazis verinnerlicht hatte, über vieles aufregen: Amerika, Juden, Frauenrechtlerinnen, Homosexuelle, „Arbeitsscheue“, Prostituierte, „Negermusik“, Science-Fiction-Filme und vieles mehr. Nichts aber versetzte ihn so in Rage wie moderne Kunst, und vor allem ein Kunstwerk brachte ihn regelrecht zum Toben, nämlich Giselbert Hokes Fresken am Klagenfurter Hauptbahnhof. Die seien „entartet“, schimpfte er in der Diktion der Nazis, denn echte Kunst sei nur die möglichst naturgetreue Abbildung, nicht aber dieses „Geschmiere“, diese „Kinderkritzeleien“. Mein Opa war mit dieser Meinung nicht allein. Als die Hoke-Fresken „Wand der Kläger“ und „Wand der Angeklagten“ 1956 enthüllt wurden, brach in Kärnten eine Hetzkampagne gegen Werk und Künstler los, die sich fast so anfühlte als wäre die NSDAP immer noch an der Macht. Und genau genommen war sie das damals in Klagenfurt ja auch noch. Ein eigens gebildeter Verein forderte die Zerstörung des Kunstwerks, Zeitungen und Politiker hetzten gegen Hoke und in der Bevölkerung herrschte eine dermaßen feindselige Stimmung, dass man dem Maler in ganz Kärnten kein Zimmer mehr vermieten wollte. Hoke ging nach Wien, wurde einer der erfolgreichsten Künstler Europas und kam 1962 trotzig nach Kärnten zurück, wo er sich das Schloss Saager kaufte um es denen, die ihn verjagt hatten, zu zeigen.
Am 18.4.2015 ist Giselbert Hoke im Alter von 88 Jahren verstorben. Er durfte noch miterleben, wie seinen Fresken im Zuge des Umbaus des Klagenfurter Bahnhofs endlich die Präsentation zukam, die sie von Anfang an verdient hätten. Nach Jahrzehnten, in denen man die Wandgemälde schamhaft nahezu versteckt hatte, wurden sie seit dem Jahr 2000 renoviert und werden seither ordentlich ausgeleuchtet. Kärnten war sich bewusst geworden, welch großartiger Künstler hier am Werk gewesen war, und heute wird kaum noch jemand ernsthaft bestreiten, dass die an Picasso erinnernden Fresken ein echtes kulturelles Highlight sind, wie es kaum ein anderer Bahnhof, ja keine andere Stadt zu bieten hat.
Hoke war nicht der einzige Künstler, dem in Kärnten lange Hass und Verachtung entgegen schlugen. Man erinnere sich an die Hetzkampagne, die die FPÖ gegen Cornelius Kolig führte. Der wurde noch 1998 als „Fäkalkünstler“ verhöhnt und einige Freiheitliche und Rechtskonservative versuchten sogar, ihn in die Nähe von Kindesmissbrauch zu rücken. Glücklicherweise waren das aber die letzten Zuckungen eines Kunstverständnisses oder besser Kunstunverständnisses, das noch aus der Nazizeit stammte und das langsam auch bei der FPÖ ausstarb. Heute haben Künstlerinnen und Künstler als Feindbilder weitgehend ausgedient, was einerseits sehr erfreulich ist, andererseits aber vielleicht auch mit einem Bedeutungsverlust von Kunst einhergeht. So mancher zeitgenössische Maler würde sich wohl wünschen, einen ähnlichen Wirbel auslösen zu können wie es einst die Hoke-Fresken schafften. Doch so wie auch die Literatur ist die bildende Kunst heute kaum noch in der Lage, große Diskussionen zu provozieren. Das liegt vielleicht am Internet, das per Mausklick Zugriff auf Darstellungen bietet, die so extrem sind, dass sie uns alle desensibilisieren. Oder auch daran, dass Kunst in der Postmoderne und der Postdemokratie nicht mehr so ernst genommen werden kann wie früher. Oder, auch das ist eine Möglichkeit: Es gibt derzeit keine Künstler vom Format eines Giselbert Hoke. Möge die Erde ihm leicht sein, diesem Menschen, dem wir so viel große Kunst verdanken!
Kontakt: redaktion@mein-klagenfurt.at