Wenn der Staat versagt, ist das kein schöner Anblick. Wir können so einem Versagen derzeit live zuschauen. Obdachlose und frierende Flüchtlingskinder mit blauen Lippen und schweren Augenringen klagen an. Wieso ist ein Land wie Österreich nicht fähig, Menschen so zu behandeln, wie es Menschen zusteht? Wieso führt ein Andrang von Flüchtlingen, der übrigens keineswegs überraschend kam, zu chaotischen Szenen und zu offensichtlichem Elend, das nur durch den Einsatz tapferer Freiwilliger halbwegs abgemildert werden kann? Manche meinen, das sei Absicht. Die Verschwörungstheorie geht um, wonach die Innenministerin und damit die ÖVP möglichst viele drastische Bilder erzeugen wolle, um damit die Österreicher so zu verängstigen, dass die bei Neuwahlen dann jene Parteien wählen, die am lautesten nach harten Maßnahmen rufen. Zum Beispiel die Partei einer Innenministerin, die eine „Festung Europa“ bauen möchte. Einmal abgesehen davon, dass bislang noch jede Festung irgendwann gestürmt wurde und eine österreichische Ministerin keine Nazibegriffe verwenden sollte: Es mag sein, dass manche Politiker politisches Kleingeld mit der Not von Menschen wechseln wollen, aber die Gründe für das Versagen, das wir erleben, liegen tiefer.
Nicht nur Österreich, sondern alle Staaten Europas haben in den vergangenen Jahren immer mehr Aufgaben an private Firmen ausgelagert. „Mehr privat, weniger Staat“ war der Schlachtruf der Privatisierer. Dabei hat man nicht bedacht, dass Privatunternehmen nur eines besser können als der Staat: Gewinn machen. Das ist auch gar nicht per se schlecht. Ohne Gewinnstreben und Konkurrenz würde wir vermutlich immer noch mit Viertelanschlüssen telefonieren, hätten kein Internet und führen alle die gleichen kleinen Autos mit Zweitaktmotor. Die Schattenseite davon ist, dass der Staat immer ohnmächtiger wird und sogar im Katastrophenfall nur sehr eingeschränkt handeln kann. Das war beispielhaft in New Orleans zu sehen, als die Stadt vom Hurrikan Katrina getroffen wurde. Die Hilfsmaßnahmen des amerikanischen Staates, der bei der Privatisierung seiner Geschäftsbereiche schon viel weiter war als Europa, ließen bis zu 14 Tage auf sich warten. Ähnliches erleben wir nun mit den Flüchtlingen. Es steht gar nicht immer böse Absicht hinter der Unfähigkeit, die flüchtenden Menschen ordentlich zu versorgen, zu registrieren, medizinisch zu behandeln und in ein Asylverfahren aufzunehmen, sondern der Staat kann das gar nicht mehr erledigen, weil er seine Kernbereiche wie die Innere Sicherheit schon zu sehr geschrumpft oder ausgelagert hat. In Österreich kommt noch ein ordentlicher Kompetenzwirrwarr dazu. Für dies ist der Bund zuständig, für das das Land, für jenes wieder die Gemeinde, für X die Feuerwehr und für Y die Polizei und so weiter und so fort. Hier fehlt eine klare Kommandokette und ein Durchgriffsrecht von oben.
Während also der weitgehend privatisierte Staat an der Flüchtlingsproblematik zu scheitern droht, erreichen uns wirtschaftliche Horrormeldungen. Im Bankenbereich könnten in den nächsten Jahren 25.000 Jobs verloren gehen und die Ratingagenturen drohen Österreich mit Abwertung. Im Winter rechnet das AMS mit 500.000 Arbeitslosen. Die Wirtschaftskrise hat sich endgültig bis zu uns durchgefressen und könnte uns in jenen Abgrund ziehen, in dem sich Südeuropa schon befindet. Wer sich anschaut, wie der Staat bei den Flüchtlingen versagt, hat wenig Hoffnung, derselbe Staat könne etwas gegen die Krise tun. Kann er auch nicht, und zwar aus denselben Gründen: Er hat kaum noch Möglichkeiten, einzugreifen. Der „Markt“, dem man die Fesseln abgestreift hat, entscheidet. Es wäre vielleicht eine gute Idee, ihn wieder an die Leine zu nehmen. Zumindest teilweise. Lebenswichtige Infrastruktur muss ja wirklich nicht unbedingt Privatunternehmen überlassen werden, oder?
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