Erdäpfel klauben, Stall auskehren, Heu ernten, Haus putzen – so schaut die „Therapie“ für 762 psychisch kranke Kärntnerinnen und Kärntner aus, die man in sogenannte „Zentren für psychosoziale Rehabilitation“ abgeschoben hat. Diese „Zentren“ sind meist abgelegene Bauernhöfe, wo diese Menschen für ein Taschengeld als Hilfsarbeiter eingesetzt werden. Jahrelang hat die Volksanwaltschaft auf diesen Missstand im Umgang mit psychisch Kranken in Kärnten hingewiesen, jahrelang ist nichts passiert. Jetzt ist der Volksanwaltschaft der Kragen geplatzt und sie hat eine „kollegiale Missstandsfeststellung“ beschlossen. Das heißt auf Deutsch, dass die Volksanwaltschaft dem Land Kärnten offiziell und in schriftlicher Form vorwirft, gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Das Land hat danach acht Wochen Zeit, die Kritikpunkte aus dem Weg zu räumen oder schriftlich zu erklären, weshalb man sich weigert, das zu tun. Warum die schweren Geschütze? Weil in Kärnten 762 psychisch kranke Menschen in „Zentren für psychosoziale Rehabilitation“ regelrecht entsorgt wurden, statt sie am Leben der Gesellschaft teilhaben zu lassen, wie es die UNO-Menschenrechtskonvention verlangen würde. Die Betroffenen werden dort laut Volksanwaltschaft lediglich verwahrt, nicht aber professionell betreut und auf ein selbständiges Leben vorbereitet.
Die Kärntner Landesregierung argumentiert, dass sie sich die 14 Millionen Euro, die die Umsetzung der Forderungen der Volksanwaltschaft kosten würde, nicht leisten kann. Das ist beschämend, denn hier geht es nicht um irgendwelchen Luxus, sondern um Menschenrechte. Menschenrechte sind nicht verhandelbar und können auch nicht von den Launen der Politik oder vom Budget abhängen. Psychisch Kranke haben laut der UNO-Menschenrechtskonvention das RECHT darauf, an der Gesellschaft teilzuhaben. Das bedeutet, dass man sie NICHT auf irgendwelche Bergbauernhöfe oder in abgelegene Kliniken abschieben darf.
Natürlich gibt es auch Menschen, die so schwer krank sind, dass sie eine Rund-um-die-Uhr-Pflege brauchen, aber auch die ist eher in der Stadt zu haben als irgendwo in hintersten Tälern. Klar fühlen sich einige Kranke auf Bauernhöfen wohl, aber darum geht es nicht. Die meisten psychisch Kranken könnten mit ein bisschen Unterstützung durchaus ein halbwegs normales Leben führen statt als Knechte und Mägde missbraucht zu werden. Dazu braucht es betreute Wohneinrichtungen, Hilfen im Alltag und Möglichkeiten für die Betroffenen, eigenes Geld zu verdienen. Das ist teuer, ja, aber auf Menschenrechten klebt kein Preiszettel. Die gelten einfach, ob das die Politik nun gut findet oder nicht.
Die Unsitte, psychisch kranke Menschen möglichst weit weg von anderen Menschen unterzubringen, entspricht schon lange nicht mehr dem Stand der Medizin. Neben dem Kostenfaktor spielt da auch mit, dass manche Leute Angst vor psychisch Andersartigen haben. Diese Angst ist unbegründet. Laut Kriminalstatistik werden im Schnitt 0,5 Prozent aller psychisch Kranken gewalttätig. Bei den sogenannten „Normalen“ sind es 2,5 Prozent. Die „Kranken“ sind also harmloser als die „Gesunden“. Wer psychisch Kranke kennt, der weiß auch, wieso. Die sind nämlich meistens voll und ganz damit beschäftigt, einen Alltag zu bewältigen, der schon für Gesunde oft stressig und schwierig ist.
In Italien hat man übrigens schon vor 40 Jahren unter dem Slogan „Die Freiheit ist heilsam“ damit begonnen, die Psychiatrien zuzusperren und als Unterabteilungen den normalen Krankenhäusern anzugliedern. Wer in Italien mit einem psychischen Notfall ins Krankenhaus kommt, kommt also ins ganz normale Krankenhaus neben andere Patienten, was enorm dazu beigetragen hat, das Stigma zu bekämpfen, das psychischen Krankheiten immer noch anhaftet. Auch wir sollten uns wieder daran gewöhnen, dass es psychisch Kranke nun mal gibt und dass die mitten unter uns leben werden. Das werden wir so oder so müssen, denn die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt jährlich an. Dank Stress in der Arbeitswelt und einem immer hektischeren Lebensrhythmus kann es jeden treffen. Wer sich heute noch völlig gesund fühlt, kann schon morgen eine Depression oder eine andere Erkrankung kriegen. Allein deswegen schon, weil es uns nämlich ganz schnell selber betreffen kann, sollten wir darauf pochen, dass Kärnten den Kranken endlich die vollen Menschenrechte zugesteht.
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