Das besonders Unheimliche am Amoklauf in München war, dass die Polizei viele Stunden lang nicht wusste, ob es sich um einen Einzeltäter handelte oder ob es mehrere Schützen waren und welche Motive der Irrsinn hatte. Weil die Polizei das nicht wusste, wusste es auch sonst keiner, und so schossen allerlei Vermutungen und Unterstellungen ins Kraut, vor allem auf Facebook und Twitter. Das ist verständlich, denn was Menschen am schlechtesten aushalten, ist Ungewissheit. Einen halben Tag später war die Ungewissheit aber vorbei und die deutschen Behörden sagten, der 18-jährige David S. Habe allein gehandelt und sei kein Islamist gewesen. Vielmehr habe er sich für den norwegischen Massenmörder Anders Breivik interessiert (der auf den Tag genau vor fünf Jahren 77 Menschen ermordete) und habe wohl mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt.
Damit hätten die wilden Spekulationen aufhören müssen. Die FPÖ interessierte sich aber nicht für die Wahrheit. Noch Stunden, nachdem die deutsche Polizei bekanntgegeben hatte, dass der Amokläufer von München kein Islamist war, behauptete FPÖ-Chef Strache auf seiner Facebookseite stur das Gegenteil. Seine Fans steigerten sich in einen wahren Rausch aus Verschwörungstheorien und Hass auf Muslime hinein. Sehr negativ fiel auch der Kärntner Landtagsabgeordnete Martin Rutter auf. Obwohl noch niemand wissen konnte, was los war, postete er in der Nacht wirre Statements, in denen er forderte, man müsse „die Erwachten organisieren“ und dass er ganz genau wisse, wer hinter den Schüssen im Einkaufszentrum stecke. Das klang nicht nach einem rationalen Politiker, sondern nach etwas ziemlich Schrägem und Ungesundem. Man kennt so eine Sprache zum Beispiel von Sektenmitgliedern. Rutter postete danach nichts mehr, also auch keine Entschuldigung dafür, völlig falsche Behauptungen verbreitet zu haben (Stand: Samstag Nachmittag, 15.30 Uhr).
Wenn wir aus dem schrecklichen Massaker in München etwas lernen können, dann dies: Solange wir nichts wissen, sollten wir auch keine Vermutungen und Theorien in die Welt schreien. Das versetzt die Menschen zusätzlich in Panik und kann im schlimmsten Fall sogar zu neuer Gewalt gegen Unschuldige führen. Es war natürlich nach all dem Terror der vergangenen Jahre irgendwie naheliegend, dass es ein Anschlag durch Islamisten sein könnte, aber das wusste eben niemand mit Sicherheit. Es gab einen guten Grund, warum die deutsche Kanzlerin und andere Politiker so lange schwiegen. Sie wollten die Ermittlungen abwarten, statt sich mit voreiligen Statements lächerlich machen. Es wäre zu wünschen, wenn österreichische Politiker dasselbe Format hätten und auch mal still sind, wenn es nichts zu sagen gibt. Es war ziemlich hässlich, wie da einige Politiker wie die Aasgeier über den noch warmen Leichen kreisten und auf leichte Beute bei den Wählern schielten.
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