Der Eurovision Songcontest ist seit vielen Jahren mehr als nur ein Wettbewerb der Lieder. Bei dem Spektakel geht es auch darum, wie die Jugend Europas (und Australiens und Israels) tickt, denn mehr als 70 Prozent derjenigen, die bei der Publikumsabstimmung mitmachen, sind unter 30. Mit Netta Barzilai gewann heuer eine Frau, die sowas wie der Mensch gewordene Alptraum der ewig Gestrigen ist: Eine israelische Jüdin, die mit ihrem Song eine starke Botschaft gegen sexuelle Übergriffe und eine Gesellschaft parat hatte, die Frauen immer noch vorschreiben will, wie sie auszusehen hätten. Netta steht selbstbewusst zu ihrem Anders-Sein, zu ihrer Buntheit. Das missfällt manchen. Die Bösmenschen, wie wir jene Leute nennen sollten, die alle, die für eine schönere Welt sind, als „Gutmenschen“ verspotten, wollen keine Buntheit. Sie wollen einen grauen Einheitsbrei, am besten einen in Uniform. Die Bösmenschen attackieren Netta, weil sie alles symbolisiert, was böse Menschen hassen: Offenheit, Vielfältigkeit, Toleranz – und ein selbstbewusstes Auftreten jener, die nach Meinung der bösen Menschen schweigende Opfer zu sein haben.
Auch der äußerst respektable dritte Platz für den Österreicher Cesàr Sampson zeigt, wie sehr die Jugend die Ansichten der Altvorderen satt hat. Dass der Mann eine etwas dunklere Hautfarbe hat als die meisten Österreicher, war den Fans und Votern völlig egal – und genau so sollte es auch sein. Einen Menschen nach seiner Hautfarbe zu beurteilen, ist verrückt und bösartig. Die jungen Leute, die beim ESC mitstimmten, sind weder verrückt noch böse. Sie sind normal. Nicht normal ist zum Beispiel China, wo die Übertragung des Songcontests zensiert wurde, weil bei einer Tanzeinlage zwei Männer miteinander Händchen hielten. Was müssen das für armselige alte Knacker sein, die fürchten, Toleranz gegenüber Homosexualität könnte die Sitten ihres Volkes verderben? Was ist das für ein graues, kaltes Denken? Hallo, China, das Mittelalter ruft an, es möchte gerne seine Moralvorstellungen zurück haben.
Wir müssen aber nicht bis nach China schauen, um auf Intoleranz und Engstirnigkeit zu treffen. Als die vormalige Songcontest-Siegerin Conchita Wurst ihre HIV-Erkrankung öffentlich machte, wünschte man ihr auf der FPÖ-nahen Plattform „unzensuriert.at“ den Tod. Ein besonders widerwärtiger Zeitgenosse schrieb dort etwa, er freue sich immer, „wenn so ein kranker Perversling krepiert“. Freude über Krankheit und Tod anderer Menschen – so äußert sich das Böse, so redet die Unmenschlichkeit, so denken die grauen Männer von gestern. Man braucht übrigens gar nicht schwul, lesbisch oder transsexuell zu sein, um sich mit den Conchitas zu solidarisieren und sich mit den Nettas und Sampsons zu freuen. Es reicht, kein Arschloch zu sein.
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