In Österreich geht die Angst um. Die Angst vor den vielen Tausenden Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben nach Europa drängen. Die Angst vor den Veränderungen, die das mit sich bringen wird. Die Angst, ob begründet oder nicht, vor Terrorismus, Kriminalität und islamischem Fanatismus. Auch die Angst davor, unsere Sozialsysteme könnten dieser Flucht- und Zuwanderungsbewegung nicht gewachsen sein. Die Bilder von der ungarisch-serbischen Grenze, wo Flüchtlinge und Polizisten brutal zusammenstießen und man verzweifelte Menschen, Stacheldrahtzäune und Tränengasschwaden sah, haben diese Ängste verstärkt. Angst ist aber spätestens dann ein schlechter Ratgeber, wenn sie in Panik umschlägt. Panische Menschen neigen zu Kurzschlusshandlungen und zu Gewalt.
Was kann man machen, um denen, die sich jetzt fürchten, die Ängste zu nehmen? Zunächst einmal sollte man ehrlich sein. Die Menschen, die derzeit nach Europa flüchten, sind weder besonders gut noch besonders böse, sondern einfach nur Menschen. Unter diesen gibt es, wie unter den alteingesessenen Österreichern, Nette, Unsympathische, Friedliche, Aggressive, religiöse Fanatiker, Atheisten, Tolerante und Intolerante. Und es gibt unter ihnen sicher auch eine gewisse Anzahl, die kriminell wird, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Ein paar wenige könnten sogar Sympathien für terroristische Organisationen haben. Es ist ungeheuer wichtig, die Flüchtlinge weder zu idealisieren noch zu verteufeln. Nur wenn wir kapieren, dass das Menschen wie wir sind, mit allen guten und schlechten Seiten, können wir die wirkliche Gefahr bekämpfen, und die wirkliche Gefahr ist die Angst. Dass ein paar Hunderttausend Flüchtlinge den 742 Millionen Europäern gefährlich werden könnten, glaube ich nicht. Aber dass die 742 Millionen, wenn sie in Panik geraten, mit dem Wählen extremer Parteien oder gar mit Gewalt gegen die Fliehenden reagieren könnten, ist leider eine realistische Möglichkeit.
Wollen wir unsere Ängste besiegen, dann werden wir auch nicht darum herumkommen, Flüchtlingen und Zuwanderern mit Nachdruck zu erklären, wie die europäische Kultur funktioniert und dass in dieser kein Platz ist für religiösen oder kulturellen Hass. Wir müssen den neuen Mitbürgern ganz klar sagen, dass bei uns Religionsfreiheit herrscht und dass diese nicht nur bedeutet, dass jeder an den Gott seiner Wahl glauben darf, sondern dass Religionsfreiheit auch das Recht auf Freiheit VON der Religion bedeutet und dass unsere Gesetze und Umgangsformen nicht mehr aus uralten „heiligen“ Büchern abgeleitet werden. Wer bei uns leben will, muss akzeptieren, dass wir Frauenunterdrückung ebenso wenig hinnehmen wie Gewalt gegen Homosexuelle oder andere Minderheiten. Umgekehrt müssen auch wir lernen, andere kulturelle Vorstellungen bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren. Wer zum Beispiel unbedingt ein Kopftuch tragen will, soll das dürfen. Kurz: es müssen sich beide Seiten ein wenig bewegen.
Nicht zuletzt sollten wir auf eine europaweite Vereinheitlichung bei der Flüchtlingsversorgung drängen, da Flüchtlinge, die ja auch keine Deppen sind, sonst stets in jene Staaten drängen werden, in denen sie das beste Sozialnetz vorfinden. Das ist kein Charakterfehler, sondern ganz normal. Das würde jeder so machen, der nicht ganz dumm ist. Wenn es in Griechenland gar keine Versorgung mehr gibt, in Österreich 40 Euro Taschengeld, in Deutschland 140 Euro und in Skandinavien gar eine Art Grundeinkommen, ist es kein Wunder, dass kein Flüchtling in Griechenland bleiben mag und auch Österreich oft nur ein Land zum Durchfahren ist.
Und eines ist auch klar: Jene Leute, die derzeit mit voller Absicht Angst verbreiten, indem sie erfundene oder völlig übertriebene Geschichten weitererzählen, handeln unverantwortlich. So hat FPÖ-Chef Christian Ragger behauptet, in der Asylwerberunterkunft St. Kanzian wären 20 Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten und hätten Pässe sowie 2.000 Euro monatliches Taschengeld verlangt. Das stimmt nicht. Die Polizei hat richtiggestellt, dass es weder einen Hungerstreik gegeben hat noch eine konkrete Geldforderung. Aus einer Situation, die an sich angespannt genug ist, auf diese Weise Profit schlagen zu wollen, ist unanständig.
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