Als Christian Kern das Partei-Ruder der SPÖ von Werner Faymann übernahm, herrschte zunächst allgemeine Begeisterung bei den Roten und der kritischen Öffentlichkeit. Da kam einer, der in ganzen Sätzen sprach und das auch noch allgemein verständlich und ohne die üblichen Politiker-Floskeln – sensationell für österreichische Verhältnisse. Zum Amtsantritt hatte er gleich ein paar einprägsame Sager auf Lager. „Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen“. Das hatte schon fast was von Obama oder gar Kennedy. Und es stimmte. Die ewigen Kompromisse der großen Koalition lösen mittlerweile viele Gefühle aus, Begeisterung ist unter diesen eher selten zu finden. Freilich hatte Kern eines nicht ganz bedacht: Die SPÖ befindet sich nun einmal in einer Koalitionsregierung und Kompromisse sind das Wesen von Koalitionen, eigentlich sogar von Demokratie. In mühseligen Verhandlungen über einen neuen Arbeitsvertrag stellte sich dann auch rasch heraus, dass die SPÖ sehr viele ihrer Grundsätze und Überzeugungen opfern musste, wollte sie Neuwahlen verhindern. Christian Kern hat ein gutes Gespür für die Stimmung im Land, und nach dem fast ein Jahr dauernden Bundespräsidentschafts-Wahlkampf verspürt die Bevölkerung keine gesteigerte Lust, erneut wählen zu gehen. Wer auch immer Neuwahlen auslöst, würde also riskieren, dafür vom Wähler abgestraft zu werden. Dennoch fragen sich einige in der SPÖ, ob der Preis für die Fortsetzung der Koalition nicht zu hoch ist.
Ohne großen Widerstand stimmte die SPÖ den Forderungen der ÖVP nach mehr Law & Order zu. Vor allem mit Flüchtlingen will man in Hinkunft noch härter umspringen. Wie zum Beispiel die geplanten neuen Gefängnisse, in die man Menschen ohne Aufenthaltstitel auf unbegrenzte Zeit sperren will, mit sozialdemokratischen Grundsätzen oder auch nur den grundlegenden Menschenrechten vereinbar sind, konnte Kern bislang nicht erklären. Und wo sind die roten Grundsätze geblieben, als man die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden beschloss, ohne dabei auf Gegenleistungen wie einer zusätzlichen Urlaubswoche zu beharren? Gehört es wirklich zu den Grundsätzen einer angeblichen Arbeiterpartei, ausgerechnet in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die Menschen, die noch einen Job haben, länger arbeiten zu lassen statt die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen? Immerhin lehnten die Sozialdemokraten den Plan von Innenminister Sobotka, das Demonstrationsrecht zu beschneiden, ab. Sehr viele andere bedenkliche Sachen fanden aber ihren Weg in das neue Arbeitsabkommen. Unter anderem soll die berüchtigte „Geisteskrankenkartei“, die in den 90er Jahren abgeschafft worden war, weil sie den Menschenrechten widersprochen hatte, wieder eingeführt werden. Keine sehr sozialdemokratische Sache, eher schon eine rechte und autoritäre.
Kern muss aufpassen, dass er den Bonus, den er bei Amtsantritt hatte, nicht verspielt. Und er sollte die wahren Mehrheitsverhältnisse im Land nicht falsch einschätzen. Wenn ein Grüner Bundespräsident werden kann und die Kommunisten in Graz 20 Prozent kriegen, ist das Land vielleicht gar nicht so rechts, wie die roten Parteistrategen vermuten. Die tausenden Freiwilligen, die Flüchtlingen halfen und immer noch helfen, sind teilweise dieselben, die mit einer Graswurzelbewegung den hoch gerüsteten Wahlwerbe-Apparat der FPÖ bei der Bundespräsidentschaftswahl besiegten. Das sind oftmals Leute mit einem gewissen Einfluss, die von sich aus aktiv werden, wenn sie ein politisches Ziel für wichtig genug halten. Ob es sich auszahlt, die alle zu verprellen, damit man im rechten Lager nach Stimmen fischen kann, ist eine riskante Wette.
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