Es ist fast eine Art demokratiepolitischer Witz: Wären bei der Volksabstimmung über die Verfassungsänderung in der Türkei, die die Macht des Präsidenten massiv ausbaut, nur die Menschen in der Türkei wahlberechtigt gewesen, hätte Erdogan womöglich verloren. Es waren die im Ausland lebenden Türken, die zum Beispiel in Österreich mit über 70 Prozent für den autoritären Umbau der türkischen Gesellschaft stimmten. Nur mit diesen Stimmen konnte Erdogan auf 51,35 Prozent kommen. In Deutschland stimmten über 60 Prozent der Deutschtürken mit „ja“, in den Niederlanden über 70 Prozent. Es kann also gut sein, dass Leute die Zukunft eines Landes bestimmt haben, die dort teils schon seit Jahrzehnten nicht mehr leben und unter den nun kommenden Entwicklungen auch nicht leiden werden.
Interessant: In anderen Staaten, zum Beispiel in Spanien oder den USA, sagten mehr als 80 Prozent der dort lebenden Türken „Nein“ zu Erdogan. Nun stellt sich die Frage, ob die Türken in Österreich und Deutschland besonders konservativ und rechts sind, ober ob deren Abstimmungsverhalten eine Reaktion auf österreichische, deutsche und niederländische Politiker war, die sich in den Wahlkampf einmischten und ihn dazu nützten, um sich als harte Anti-Erdogan-Kämpfer zu inszenieren. Es wird wohl beides eine Rolle gespielt haben, wobei das letztendlich gar nicht so wichtig ist. Es gibt nämlich keine Entschuldigung dafür, was erwachsene Menschen in der Wahlkabine anstellen. Ob aus Überzeugung oder Trotz: Sie haben dafür gestimmt, dass die Türkei weiter den Weg in Richtung Diktatur beschreitet. Sie haben für Erdogan gestimmt, in dessen Gefängnissen tausende unschuldige Menschen sitzen, deren einziges Vergehen es war, eine andere Meinung als die der herrschenden Partei zu haben. Seit über zwei Monaten darbt zum Beispiel Deniz Yücel, deutscher Journalist mit türkischen Wurzeln, im türkischen Knast. Und über 60 Prozent der Deutschtürken haben für seine Kerkermeister gestimmt. Das ist, Pardon, zum Kotzen.
Obwohl das Ergebnis knapp war, fühlt sich Erdogan bestätigt und gestärkt und er hat bereits die nächste Volksabstimmung angekündigt. Demnächst sollen die Türken über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen. Ob auch dann wieder österreichische, deutsche und holländische Türken mit „Ja“ stimmen und somit die Todesstrafe in einem Land einzuführen helfen, in dem sie gar nicht wohnen? Und wie wird Europa mit einer Türkei umgehen, die den demokratischen Prinzipien der EU Lebewohl sagt? Werden wir uns weiterhin von der Türkei in der Flüchtlingsfrage erpressen lassen und jedes Jahr ein paar Milliarden Euro nach Ankara schicken, damit Erdogan die Flüchtlinge nicht weiterreisen lässt? Oder werden uns doch noch ein paar Eier(stöcke) wachsen und wir bieten dem Möchtegern-Diktator vom Bosporus die Stirn? Dazu müssten wir Europäer aber endlich mal Nägel mit Köpfen machen und zum Beispiel die Flüchtlingsunterkünfte in Griechenland massiv ausbauen und menschenwürdig machen. Dasselbe müsste auch in Nordafrika geschehen. Dann kann Erdogan drohen soviel er mag, es würde uns nicht beeindrucken. Und irgendwann wird er stürzen, denn ohne Auslandstürken hätte er nicht mal 50 Prozent gekriegt bei seiner Volksabstimmung. Die Türken selbst sind also gar nicht so heiß darauf, halb diktatorisch regiert zu werden. Vielleicht werden sie Erdogan ganz von selbst dorthin schicken, wo er hingehört, nämlich in die Wüste oder in die Rente?
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