Manchmal sieht man etwas und der Verstand kann das, was die Augen sehen, nicht fassen, will es nicht wahrhaben. Das Bild der Verwüstung in der Grazer Herrengasse und am Hauptlatz etwa. Das verbeulte Kinderfahrrad. Zugedeckte Leichen. Panische, zutiefst verängstigte Menschen. Wie durch eine Bombe herumgewirbelte Sessel und Tische. Man sieht die Bilder, die nach der Amokfahrt in Graz gefilmt wurden, und wähnt sich in einem Alptraum, aus dem man möglichst schnell erwachen will. Doch es ist real. Der, der da den Verstand verloren hat, hat etwas angerichtet, das uns allen den Verstand zu rauben droht, weil wir den Schrecken kaum fassen können. Und dann gibt es da die Trittbrettfahrer ohne Anstand. Das Schreckliche, das Unfassbare war gerade erst geschehen, da meinten manche Politiker und einige Boulevardmedien, die Gunst dieser schrecklichen Stunde nutzen zu müssen und fabulierten von einem „religiös begründeten Terroranschlag“. Terror war das insofern tatsächlich, als die Tat Angst und Schrecken verbreitete. Doch der Täter war kein religiöser oder politischer Fanatiker, sondern einer, dessen Motive wir nicht einmal theoretisch nachvollziehen können, was die Sache noch unheimlicher und bedrückender macht.
Ausgehend vom derzeitigen Wissensstand ist der Täter einer jener Männer, die gegenüber ihrer Familie gewalttätig werden und dann von der Polizei der Wohnung verwiesen werden. Das passiert sehr häufig und viele dieser Männer drehen nach dieser Wegweisung, die sie als tiefe Kränkung empfinden, durch. Die meisten von jenen, bei denen eine Wegweisung diese typisch männliche psychische Krise auslöst, fangen an zu saufen oder sich auf andere Art selbst zu schädigen. Ganz Aggressive bringen sich um oder, schlimmer noch, töten zuerst ihre Familie und dann sich selbst. Das ist auch in Österreich schon oft genug passiert. Die Älteren unter uns erinnern sich noch daran, dass unter anderem deswegen einst die Pumpguns verboten wurden, jene Repetierschrotflinten, die immer wieder bei solchen Familienmorden zum Einsatz kamen. Im aktuellen Fall in Graz wandte sich die Aggression gegen völlig Unbeteiligte und die Waffe war ein SUV.
Eine plötzlich auftretende Psychose kann übrigens jeden treffen, auch Menschen, die nie zuvor seelische Probleme hatten. Daher muss man ausdrücklich davor warnen, nach den Ereignissen in Graz psychisch kranke Menschen als gefährlich einzustufen. Menschen mit psychischen Problemen sind nicht gewalttätiger als sogenannte Gesunde und auch nicht anfälliger für aggressives Durchdrehen. Meistens sind Amokläufer vor ihrer Tat nie psychisch auffällig geworden. Psychisch Kranke sind in der Regel voll und ganz mit sich selbst beschäftigt und leiden vor sich hin. Es sind die aggressiven Auftrumpfer und Heißläufer unter den angeblich „Normalen“, die uns Sorge bereiten sollten. Und ironischerweise genau jene Leute, die jetzt in Internetforen oder auf Facebook nach Todesstrafe und Folter rufen, denn darin zeigt sich eine seelische Kälte und ein Hass, der nur noch einen Anlass braucht, um in mörderische Gewalt umzuschlagen. Vor dem depressiven Nachbarn, der sich kaum aus seiner Wohnung traut, habe ich keine Angst, vor Menschen, die eine nur schwer begreifbare Gewalttat für politische Propaganda nützen oder nach Blutrache schreien, sehr wohl.
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