Als vor ein paar Tagen der langjährige österreichische Außenminister und ÖVP-Chef Alois Mock verstarb, verlor das Land einen seiner prägenden Politiker und man hatte ein bisschen das Gefühl, dass eine Ära zu Ende ging. Egal, wie man zu Mock politisch stand, ob man ÖVP-Wähler war oder Sozialdemokrat, Freiheitlicher oder Grüner - niemand wird je die Bilder vergessen, als Mock mit dem Bolzenschneider den Eisernen Vorhang zerschnitt. Die Freude, die er dabei im Gesicht trug, kam aus tiefstem Herzen und fast alle Menschen freuten sich mit ihm, freuten sich über das Ende dieses Symbols für Unfreiheit und Kriegsgefahr, das Europa jahrzehntelang in zwei Blöcke geteilt hatte, die einander mit riesigen Armeen belauerten.
Ein Vierteljahrhundert danach haben viele vergessen, wie das damals war, als Millionen Menschen, unsere Nachbarn, hinter Zäunen leben mussten, weil sich deren Anführer einigelten. Man hat die Wachtürme verdrängt, von denen aus man mit Maschinengewehren auf Menschen schoss, die den Eisernen Vorhang überwinden wollten. Man denkt nicht mehr daran, wie nahe wir oft kurz vor dem nächsten Krieg standen. Vergessen sind die Unterdrückung und die Unfreiheit, allzu fern wirken die Angst vor den Panzern des Warschauer Pakts und die Furcht vor dem Atomkrieg. Damals aber, als Alois Mock den Zaun durchschnitt, war das ein Gefühl der Hoffnung und der Freude. Europa. So dachte man, würde endlich zusammenrücken und eine große Familie befreundeter Nationen werden.
Manches von den damaligen Träumen ist wahr geworden, anderes nicht. Und einiges ist heute wieder in Gefahr. Tatsächlich erlebte Österreich in den Jahren seit dem Ende des Ostblocks und dem Beitritt zur EU eine Phase der Prosperität und der Freiheit, wie sie keine Generation zuvor erlebt hatte. Ganz selbstverständlich genossen wir die Freiheit, ohne Grenzkontrollen nach Budapest, Prag, Laibach oder Triest zu fahren. Als wäre es das Normalste der Welt, erlebten wir eine technische Revolution und laufen heute alle mit schicken Handys herum, mit denen wir ins Internet kommen und bessere Fotos schießen, als seinerzeit mit den meisten Kompaktkameras. Junge Menschen studierten in Italien, Frankreich und England und Senioren suchten sich Alterswohnsitze in Spanien und Griechenland. Und auch für die, die sich das nicht leisten konnten, hat sich vieles verbessert. Man denke nur, was ein Urlaub vor 30 Jahren kostete und was man heute dafür bezahlt. Oder man nehme das Angebot in den Supermärkten und Elektrogeschäften her und vergleiche das mit dem, was man uns seinerzeit für mehr als den doppelten Preis angedreht hat! Natürlich hat nicht jede Veränderung jedem gefallen, natürlich gab und gibt es auch Verlierer, aber alles in allem ist Europa, ist Österreich seit damals reicher, schöner und besser geworden.
Und dann kam die Angst zurück. Dann fingen wir wieder an, Zäune zu bauen. Diesmal nicht, um Europäer an der Flucht zu hindern, sondern um Flüchtlinge daran zu hindern, zu uns zu kommen. Politiker, die nie irgendwas geleistet hatten, wurden mit Stimmungsmache gegen Europa und gegen die offenen Grenzen populär. Ob das auch ein bisschen daran liegt, dass wir so vergesslich sind? Dass wir die Freiheit für selbstverständlich halten und nicht mehr wissen, wie hart die erkämpft werden musste? Dass wir vor gar nicht so langer Zeit immer nur eine Militäroffensive davon entfernt waren, unter einer russischen Diktatur zu leben? Oder in einem Weltkrieg ausgelöscht zu werden? Alois Mock wusste noch, wohin Nationalismus und Ideologien der Unfreiheit führen. Er hat ja sein Leben lang dagegen gekämpft. Und er hat für ein freies Europa gleichberechtigter Völker gekämpft. Hoffen wir, dass seine Nachfolger in der Politik ein bisschen was von ihm gelernt haben!
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