Univ.-Prof Ing. Dr. Phil. Verena Winiwarter ist Professorin für Umweltgeschichte an der Universität Klagenfurt und wurde 2015 unter die 50 wichtigsten Ideengeberinnen und Ideengeber gewählt. Dort steht ihr Name neben Papst Franziskus und Stephen Hawking. Mein Klagenfurt hat die Wissenschaftlerin interviewt.
Mein Klagenfurt: Aus Bolivien erreichten uns kürzlich Meldungen, wonach mit dem Schmelzen der Andengletscher die Trinkwasserreserven für Millionen in Gefahr sind. Droht ein ähnliches Szenario Ihrer Ansicht nach auch für die alpinen Gebiete Europas? Gab es historisch bereits Phasen, in denen Klimaveränderungen zur Vernichtung der Lebensgrundlage führten oder ist der von Menschen verursachte Klimawandel ohne historische Vergleichsmöglichkeit?
Winiwarter: Die Anden und die Alpen sind in dieser Hinsicht nicht vergleichbar. Peru hat die weltweit höchste Dichte an Gletschern in den Tropen, die Alpen liegen in der temperierten Zone. Die Westküste Südamerikas ist generell sehr trocken, in Europa haben wir es mit vom Golfstrom erwärmten, meeresfeuchten Situation zu tun. Aber daran, dass das Klima Gesellschaft beeinflusst, besteht kein Zweifel. Die kleine Eiszeit (1570-1700) hat in Europa tiefgreifende Umwälzungen befördert, die Dürre in der Sahelzone schon in den 1970er Jahren zu großen Wanderbewegungen und Konflikten geführt.
Mein Klagenfurt: Der HCB-Skandal im Görtschitztal zeichnete sich unter anderem durch eine „zurückhaltende“ Informationspolitik der Behörden aus. Gibt es historisch betrachtet eine Tendenz der Behörden bzw der „Obrigkeit“, Umweltdesaster kleinzureden, zu verschweigen? Und falls ja: Welche Möglichkeiten zum Widerstand hat die Bevölkerung?
Winiwarter: Seit 1974 gibt es in den USA ein wirksames Gesetz, das allen BürgerInnen Zugang zu Information aus behördlichen Verfahren garantiert, Akten sind grundsätzlich öffentlich, die Geheimhaltung bleibt die Ausnahme. Solche Gesetze einzufordern ist eine der wirksamsten Widerstandsmaßnahmen. Aber bedenken sie: Bei einer Altlast wie HCB kennt sich am Anfang niemand aus, auch die Beamten wissen zu Beginn nicht, was da wie gefährlich ist. Wollen Sie durch unsichere Informationen verwirrt werden, durch Dinge, die sich jeden Tag ändern? Es hat auch sein Gutes, wenn wir der Verwaltung zunächst vertrauen, und ihr Zeit geben, eine gewisse Sicherheit zu gewinnen, ehe informiert wird. Wie so vieles ist auch das eine Frage des richtigen Maßes.
Mein Klagenfurt: Die derzeit dominante globale Wirtschaftsweise verbraucht immer schneller immer mehr Ressourcen. Gibt es historische Beispiele für Gesellschaften, die ähnlich sorglos handelten? Und, wichtiger noch: Gibt es Beispiele dafür, dass Kulturen einen drohenden ökologischen Kollaps durch neue Technologien oder eine Umstellung ihrer Art zu wirtschaften abwenden konnten?
Winiwarter: Wir können die Situation des Vereinigten Königreichs im 18. Jahrhundert als Ergebnis eines sorglosen Umgangs mit Wald studieren. Die Insel war nahezu waldlos, und in der Not verwendeten die Menschen die unbeliebte, weil stinkende Kohle. Damit wurde allerdings die Industrielle Revolution in Gang gesetzt. So ist beides gleichzeitig passiert: Der Kollaps wurde durch neue Technologie abgewendet aber gleichzeitig die Wirtschaft durch Technologie beschleunigt. Eine Entschleunigungstechnologie kenne ich bislang nicht.
Mein Klagenfurt: Wenn Sie Welt-Umweltministerin für ein Jahr wären, mit umfangreichen Durchgriffsrechten ausgestattet: Welche Maßnahmen würden Sie einleiten? Was braucht der Planet, was braucht die Menschheit, um zu überleben?
Winiwarter: Ich glaube, ich wäre erfolgreicher, wenn ich Finanzministerin, Technologie- und Verkehrsministerin, Landwirtschaftsministerin oder Verteidigungsministerin wäre, denn Umweltprobleme sind die Folge von gesellschaftlichen Entwicklungen, die in anderen Ressorts gesteuert werden. Genug Geld für Umweltschutz, aber vor allem eine ökologische Steuer- und Abgabenreform, die Energie verteuert und Arbeit billiger macht, massive Förderung von grüner Technologie, einer nachhaltigen Landwirtschaft und öffentlichem Verkehr, Friedensorientierung der Politik statt Aufrüstung, das alles hilft der Umwelt vermutlich mehr als unter Sparzwang gestellte direkte Umweltpolitik, die oft Reparaturpolitik bleibt.
Mein Klagenfurt: Sie sind eine der renommiertesten Wissenschafterinnen Österreichs und wurden unter die 50 wichtigsten Ideengeberinnen im deutschsprachigen Raum gewählt. Unter diesen 50 befinden sich nach wie vor viel mehr Männer als Frauen. Haben es Frauen im immer noch patriachal geprägten Wissenschaftsbetrieb schwerer und welche Hindernisse müsste die Gesellschaft beseitigen, um wichtige weibliche Talente nicht brach liegen zu lassen? Haben Sie einen Ratschlag für Frauen, die gerade erst mit ihrer akademischen Laufbahn beginnen?
Winiwarter: Wissenschaft wird zunehmend prekär, weil Regierungen immer weniger Budgets dafür zur Verfügung stellen, und je knapper die Mittel, desto härter die Konkurrenz. Das trifft Frauen dann besonders, wenn Kindererziehung nicht zu gleichen Teilen Mütter- und Vätersache ist, wenn Kinderbetreuung unflexibel und teuer ist, wenn Frauen die Erfüllung von Familienpflichten (dazu gehört vermehrt die Pflege der Eltern oder Großeltern) durch den Zwang, den Stellen von Stadt zu Stadt nachzureisen, unmöglich gemacht wird. Kurzum: Frauenförderungspolitik fördert auch Wissenschaftlerinnen. Gerade bei den Förderungen hat Österreich viele Angebote für junge Wissenschaftlerinnen, ich nenne nur eines, von dem ich selbst profitiert habe, das Hertha Firnberg Programm des FWF. Sich über solche Möglichkeiten frühzeitig zu informieren ist wichtig, das ist ein konkreter Ratschlag. Wichtig ist vernetzen, auch da gibt es Angebote wie etwa FemTech, so werden Frauen sichtbarer.
Foto: Krammer