Eine Nachbetrachtung zum Bachmannpreis. Von Karsten Krampitz, Stadtschreiber a.D.
Vor 30 Jahren gewann der damals 48jährige Wolfgang Hilbig in Klagenfurt. Später hat er manchmal davon erzählt, in der „Schwarzen Pumpe“, der Kneipe in meiner Straße, beim Bier. Der Bachmannpreis war nicht sein letzter Preis, vielleicht aber der wichtigste. Von da an spielte Hilbig als Schriftsteller in der ersten Liga. Er wurde zum seinerzeit vielleicht sprachmächtigsten deutschsprachigen Schriftsteller. Aber auch er hat damals ein wenig Glück gebraucht: Eigentlich war nur Natascha Wodin, seine Frau, zum Wettbewerb nach Klagenfurt eingeladen. Ihrem Juror war aber der zweite Vorschlag ausgefallen, wegen Krankheit oder weil der Mann nicht mehr wollte. Und so empfahl sie ihm Wolfgang Hilbig. Dergleichen wäre heute gar nicht mehr möglich, dass ein Mitglied der Jury zum „Bewerb“ einen gänzlich anderen Autor mitbringt – der dann auch noch gewinnt.
Der Siegertext war ein Auszug aus dem Roman „Die Überlieferung“, also ein Text, den es ganz sicher auch ohne den Wettbewerb gegeben hätte. Das kann man von vielen späteren Preisträgern nicht mehr sagen. Beim Bachmannwettbewerb wird schon seit längerer Zeit eine Literatur gefeiert, die es ohne den „Bewerb“ nicht geben würde, und ich wage zu behaupten: die außerhalb der Literaturbetriebsblase kaum jemanden interessiert. Schon gar nicht in Klagenfurt. Ausnahmen, wie in diesem Jahr Birgit Birnbachers wunderbarer Gewinnertext „Der Schrank“, bestätigen die Regel, wie auch die diesjährige Publikumspreisträgerin Ronya Othmann.
Irgendwas aber ist schiefgelaufen. In den zentralen Buchläden der Stadt stellt der Bachmann-Wettbewerb keinen Grund dar, ein Schaufenster zu dekorieren, etwa mit Büchern der Teilnehmer, mit Ingeborg Bachmann oder auch mit den bisherigen Preisträgern; es waren ja noch genug Schriftsteller darunter, obwohl schon mal ein Arzt, ein Cartoon-Zeichner oder ein Musiker ausgezeichnet wurden. Als ich im Jahr 2009 beim Wettlesen dabei war, waren die Tage der deutschsprachigen Literatur ein Ereignis (freilich nicht meinetwegen). Neben dem Zuschauerraum war der ORF-Garten überfüllt mit Leuten, die die Lesungen an den Bildschirmen verfolgten, ebenso im Café im Erdgeschoss. Es gibt keinen besseren Ort, keine bessere Gelegenheit, bei der man so entspannt über Literatur diskutieren kann, nur ist das Publikum mittlerweile recht überschaubar geworden.
Und ich weiß auch nicht, ob Wolfgang Hilbig heute immer noch gewinnen würde. Das Statut hat sich geändert, außerdem sind die Juroren andere. Seit vielen Jahren werden keine ostdeutschen Autoren mehr eingeladen. Ihre Lebenswelt und ihr Erfahrungshorizont interessieren nicht, dreißig Jahre nach dem Mauerfall. – Dabei haben die „Ossis“ den Bewerb früher fast dominiert. Um nur die Hauptpreisträger zu nennen: Ulrich Plenzdorf, Katja Lange-Müller, Kurt Drawert, Lutz Seiler und zuletzt im Jahr 2010 Peter Wawerzinek. Aber das war einmal.
Karsten Krampitz, Jg. 1969, ist Schriftsteller und Historiker. 2009 gewann er mit einem Auszug aus der Novelle Heimgehen den Publikumspreis des Bachmannwettbewerbs und wurde im Jahr darauf Klagenfurter Stadtschreiber.