Die digitale Rekonstruktion und Erforschung der mittelalterlichen Bibliothek Millstatt ist das Ziel eines Forschungsprojektes an der Universität Klagenfurt. Bei der Langen Nacht der Forschung am 20. Mai 2022 wird die Projektgruppe in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek einen Einblick in ihre Arbeit geben und einige Original-Handschriften zeigen. Außerdem erhalten die BesucherInnen die Gelegenheit, sich selbst als ForscherInnen zu beweisen und einzelne Bereiche der Handschriftenbearbeitung eigenhändig auszuprobieren.
Das Benediktinerkloster Millstatt verdankt seine kulturelle Bedeutung vor allem seiner bemerkenswerten Bibliothek, die aber infolge der Aufhebung des Klosters im 15. Jahrhundert in ganz Europa verstreut wurde. Ein großer Teil der Bücher ist heute in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Klagenfurt untergebracht, vieles ist jedoch bis heute nicht wieder auffindbar.
Virtuelle Bibliotheken: ein Trend in der Mittelalter-Forschung
Viele mittelalterlichen Bibliotheken ereilte ein ähnliches Schicksal: die Buchbestände wurden nach der Auflösung anderen Institutionen übergeben, verkauft oder teilweise sogar gestohlen – oft ist dadurch die ursprüngliche Herkunft der Werke nicht mehr zu erkennen. Aus diesem Grund braucht es geschulte Fachkräfte, die mithilfe moderner Hilfsmittel die ursprüngliche Zusammensetzung der Bibliothek rekonstruieren können. Mittlerweile haben es sich ForscherInnen in ganz Europa zur Aufgabe gemacht, zerstreute Buchbestände ausfindig zu machen und diese der Öffentlichkeit in der Form virtueller Bibliotheken wieder geschlossen zugänglich zu machen
Berühmte Beispiele für virtuelle Bibliotheken sind etwa das Benediktinerkloster Lorsch, das Benediktinerkloster St. Matthias in Trier oder die Stiftsbibliothek St. Gallen. Eine Auflistung der geplanten und bereits realisierten Projekte bietet der Historiker und Archivar Klaus Graf in seinem Blog: https://archivalia.hypotheses.org/category/digitale-bibliotheken
Digitalisierung erleichtert die Arbeit
In Kooperation mit dem Digitalisierungszentrum der Universitätsbibliothek Graz werden seit einigen Jahren die Handschriften der Klagenfurter Sondersammlung nach und nach digitalisiert und so ist auch ein Großteil der ehemals Millstätter Handschriftenbestände bereits digital erfasst und über den Online-Katalog der UB öffentlich einsehbar. Auf der Webseite des Projektes Virtuelle Benediktiner-Bibliothek Millstatt werden diese Digitalisate in einem Wiki verlinkt und mit einer detaillierten Beschreibung versehen, die Informationen wie Entstehungszeit, Inhalt der Handschrift, Beschädigungen etc. beinhalten kann. „Online-Datenbanken erleichtern die Erstellung dieser Handschriftenbeschreibung erheblich“, erklärt Sabine Seelbach, Leiterin des Projektes. „Während es früher oft noch äußerst mühevoll war, einzelne Textbruchstücke oder Schreiber mithilfe von Lexika in Buchform ausfindig zu machen, bieten internetgestützte Findemittel und Suchmaschinen einen großen Vorteil, da sie überall zur Verfügung stehen und man vergleichsweise schnell zu Ergebnissen kommt.“ Der Fortschritt dieser Projektarbeit kann jederzeit im Wiki (https://wiki.uni-bielefeld.de/virtbibmillstatt/index.php/Hauptseite) eingesehen werden. Diese offene Arbeitsweise soll auch andere WissenschaftlerInnen dazu animieren, sich diesem Forschungsthema zu widmen.
Dank der Digitalisate konnte die Arbeit des Projektteams auch während des Lockdowns im Homeoffice fortgesetzt werden, wenn auch in eingeschränkter Form. „Für einige Arbeitsschritte wie beispielsweise die Analyse des Einbandes ist es weiterhin unerlässlich, das Buch tatsächlich in die Hand zu nehmen“, so Birgit Müllner-Stieger, langjährige Mitarbeiterin des Projektes. „Wenn es jedoch beispielsweise um die Frage geht, um welchen Text es sich handelt oder man den Buchschmuck beschreiben will, kann die digitale Variante durchaus das Buch ersetzen.“
Webseite des Projektes: https://virtbibmillstatt.com/
Video zum Projekt (entstanden anlässlich der LNDF 2020, die aufgrund der Umstände ausschließlich digital stattfand.
Das Projektteam
Das Projekt Virtuelle Benediktiner-Bibliothek Millstatt unter der Leitung von Sabine Seelbach, Professorin am Institut für Germanistik der Uni Klagenfurt, hat es sich seit 2015 zur Aufgabe gemacht, den Buchbestand des im Jahre 1469 aufgelösten Benediktinerklosters von Millstatt zu rekonstruieren. Die Arbeit zielt darauf ab, die bislang bekannten Buchbestände der Millstätter Benediktiner nach modernen Prinzipien zu beschreiben, sie virtuell in einer öffentlich zugänglichen Datenbank wieder zusammenzuführen und somit erstmals geschlossen sichtbar zu machen. Dies soll die Grundlage bilden für eine eingehende Erforschung der frühen Wissenschaftsgeschichte Millstatts und den mit dem Kloster in Verbindung stehenden Orten. Ein Großteil der erhalten gebliebenen Bücher wird heute in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Klagenfurt verwahrt, wo die Projektgruppe hauptsächlich tätig ist.
Projektleitung
Univ.-Prof. Dr. Sabine Seelbach
E-Mail: Sabine.Seelbach@aau.at
Leitung der Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Klagenfurt
ORätin Mag. Christa Herzog
E-Mail: Christa.Herzog@aau.at
weitere Informationen zum Projekt: https://virtbibmillstatt.com/projekt
Fotos: Universitätsbibliothek Klagenfurt