Der Herbst steht vor der Tür, wie die ersten welkenden Blätter und reifenden Kastanien deutlich zeigen. Weniger offensichtlich ist auch der herbstliche Vogelzug in vollem Gange. Denn bereits im Sommer machen sich die ersten Vögel auf ihre lange Reise in den Süden. Zu diesen frühen Zugvögeln gehören auch die Weißstörche, die Anfang August mit der Jungenaufzucht fertig sind. Wenige Wochen später macht sich Alt und Jung der Storchenfamilie auf den Weg in den Süden – die Jungvögel oft sogar vor ihren Eltern, denn das Zugverhalten ist ihnen wie die Zugrichtung angeboren. Die heurige Brutsaison dürfte für die Störche gut verlaufen sein, wie aktuelle Zahlen zeigen.
Zu den ersten Zugvögeln, die aus Mitteleuropa abziehen, gehören die Mauersegler, die schon ab Mitte Juli ihre städtischen Brutplätze verlassen. Der Abzug vieler Langstreckenzieher, die wie der Weißstorch tausende Kilometer bis in ihr Winterquartier zurücklegen, beginnt Ende Juli oder Anfang August. Zu ihnen zählen eher unbekannte Vogelarten wie der Teichrohrsänger, der Waldlaubsänger oder der Halsbandschnäpper, aber auch so prominente Zugvögel wie der Kuckuck oder die Turteltaube. Diese verlassen ihr Brutgebiet relativ rasch und sind wie der Weißstorch Ende August bereits über alle Berge. Über einen längeren Zeitraum zieht sich dagegen der Abzug der Schwalben, die ebenfalls einen langen Zugweg bis ins tropische Afrika vor sich haben. So auch bei der Mehlschwalbe, dem Vogel des Jahres 2022 in Österreich: Die ersten machen sich bereits Mitte August auf den Weg, während manche Artgenossen noch Jungvögel im Nest füttern. Gleichzeitig ziehen Vögel aus nördlicheren Brutgebieten bei uns durch. Den ganzen September dauert es dann, bis der Schwalbenzug in Mitteleuropa weitgehend abgeschlossen ist.
Kurzstreckenzieher wie Feldlerche, Hausrotschwanz, Kiebitz, Star oder Buchfink verharren dagegen bis weit in den Herbst hinein und verlassen oft erst im Oktober oder gar im November das Land. Um Allerheiligen herum schließen dann die Kraniche, die aus ihren nördlichen Brutgebieten kommend bei uns durchziehen, den Vogelzug mit einem spektakulären Schauspiel ab.
Weißstorch Bruterfolg 2022
Weißstörche verbringen von ihrer Ankunft ab März und ihrem Abzug im August etwa fünf Monate im Brutgebiet, davon dauert es rund drei Monate von der Eiablage bis zum ersten Ausflug der Jungstörche. „Der heurige Bruterfolg unserer Weißstörche dürfte gut verlaufen sein“, weiß Eva Karner-Ranner von BirdLife Österreich, denn: „In einer Zwischenbilanz mit dem Vorliegen von knapp der Hälfte aller erfassten Horstdaten (vor allem aus dem Burgenland, Niederösterreich und Kärnten) liegt dieser bei fast 2,5 ausgeflogenen Jungvögeln pro besetztem Horst, was für Österreich einen sehr guten Wert darstellt!“ Ausschlaggebend für den Bruterfolg sind einerseits das Nahrungsangebot zur Zeit der Jungenaufzucht – Störche brauchen nahrungsreiche Wiesen in der Nähe ihrer Horste – andererseits auch die Witterung. „Vor allem in der ersten Junihälfte, wenn die Jungvögel noch klein sind, können sich längere Schlechtwetterperioden fatal auswirken“, so die Expertin, „Solche Verluste blieben heuer zumindest in Südost- und Ostösterreich weitestgehend aus. Nur rund ein Zehntel aller Horstpaare blieben erfolglos, im Vorjahr waren es doppelt so viel.“
Ergebnisse der österreichischen Weißstorchzählung 2021
Insgesamt brüten in Österreich über 400 Weißstorchpaare, die meisten davon im Burgenland, gefolgt von der Steiermark, NÖ und Vorarlberg. Die Bestandsentwicklung ist über Gesamtösterreich gesehen als positiv zu beurteilen. Bedingt ist dies durch die enormen Zuwächse in Vorarlberg, wo mittlerweile schon über 80 Paare brüten, während die Bestände in Niederösterreich seit 2015 stark, im Burgenland leicht rückläufig und in der Steiermark fast gleichblieben sind. Die aktuellste Gesamtbestandzahl liegt für 2021 vor (siehe Tabelle). Das Gesamtergebnis der BirdLife-Weißstorchzählung für 2022 wird erst nach Einlangen aller Rückmeldungen der Gemeinden und Anrainer:innen im kommenden Winter vorliegen.
Weißstorch Hintergrundinformationen
Der Weißstorch (Ciconia ciconia), volkstümlich auch Adebar oder Klapperstorch genannt, hat ein weißes Gefieder, nur Schwungfedern und Teile der Oberflügeldecken sind schwarz. Schnabel und die langen Beine sind rot gefärbt. Charakteristisch ist sein Klappern, mit dem die Störche sich gegenseitig begrüßen und Feinde vom Nest fernhalten. Der Weißstorch lebt in offenen Landschaften, Feuchtgrünland, Flussniederungen und -auen mit periodischen Überschwemmungen, sowie extensiv genutzten Wiesen und Weiden. Er brütet auf Hausdächern, Türmen, Strommasten oder Bäumen. Gern nimmt er auch künstliche Nestunterlagen an. Die Brutzeit beginnt Anfang April und endet Anfang August.
Die europäischen Weißstörche werden klassischerweise in die Ost- und Westzieher eingeteilt. Als Segelflieger kann er keine längeren Strecken über dem offenen Meer zurücklegen und umfliegt daher das Mittelmeer im Osten oder Westen. Die meisten österreichischen Störche zählen zu den Ostziehern und fliegen über Ungarn, Rumänien und Bulgarien zum Bosporus, sowie weiter über die Türkei und den Nahen Osten, bis sie meist in Ägypten Afrika erreichen und dort in einem großen Gebiet zwischen Ost-, Zentral-und Südafrikaüberwintern. Die Westzieher hingegen, zu denen die Vorarlberger Störche gehören, ziehen über Frankreich und die Iberische Halbinsel nach Nordwestafrika. In den letzten Jahrzehnten allerdings begannen viele Westziehende Störche bereits in Spanien oder Frankreich zu überwintern und nun bleibt ein Teil von ihnen sogar ganzjährig im Brutgebiet, wie Mittwinterbeobachtungen von Weißstörchen im Vorarlberger Rheindelta beweisen. Diese zunehmenden Überwinterungen in Westeuropa tragen sicherlich zu den Zunahmen der westziehenden Störche bei. Ein kleiner Teil der europäischen Störche nimmt auch die zentrale Route über Italien nach Nordafrika.
Diese Konzentration entlang bestimmter Zugrouten ist bei vielen Arten, vor allem bei großen Vögeln wie etwa Greifvögeln zu beobachten. Diese brauchen, ebenso wie Störche, warme Aufwinde über dem Land, um sich in große Höhen schrauben zu können und dann energiesparend gleitend lange Strecken zurückzulegen. Auch viele Wasservögel nutzen Zugstraßen, denn sie sind besonders auf bestimmte Feuchtgebiete als Rastplätze angewiesen. Berühmt ist etwa das westeuropäische Wattenmeer, das zur Zugzeit Millionen an Watvögeln als nahrungsreiche „Tankstelle“ vor dem Weiterzug dient. Viele Singvögel fliegen hingegen weitgehend im Breitfrontenzug quer über die Alpen und das Mittelmeer nach Süden.
Foto: Hans-Martin Berg