Presseaussendung von: Büro LHStv. Rohr
Ob im Vorfeld bewusst oder unbewusst gewählt, findet die Eröffnung des diesjährigen und mittlerweile 20. Europäischen Volksgruppenkongresses zu einem Zeitpunkt statt, der in mehrfacher Hinsicht die Welt, das Gesicht Europas und die Europäische Gesellschaft verändert hat.
Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 ließ in Berlin im wahrsten Sinne des Wortes Mauern einstürzen. Ein unrühmliches Wahrzeichen der totalen Unmenschlichkeit und ein unrühmliches Wahrzeichen einer politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Trennlinie, die, verlängert durch Stacheldraht, Wachtürme und Todeszonen als „Eisener Vorhang“ quer durch Europa verlief, hörte auf zu existieren. Europa wuchs zusammen und viele Staaten des ehemaligen Ostblocks sind heute Mitglieder der Europäischen Union.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zeiget sich in Berlin und dem Deutschen Reich ein ganz anders Bild, nämlich die menschenverachtende Fratze des Nationalsozialismus. Die sogenannte Reichskristall- oder Reichspogromnacht markierte den Beginn der systematischen Judenverfolgung die in den Holocaust mündete.
Die Länder Europas haben in ihrer langen, gemeinsamen, wechselvollen und sehr oft leidvollen Geschichte sehr oft ihr Gesicht, die gesellschaftliche und politische Landkarte und die territorialen Grenzen verändert. Und immer wieder blieben Menschen zurück, die plötzlich zur nationalen, ethnischen, oder religiösen Minderheit oder als Volksgruppe zu Fremden im eigenen Land geworden sind. Und immer wieder mussten wir miterleben, wie politische Agitatoren es verstanden haben, die Begriffe Heimat, Nation und Volk in einen falsch verstandenen Patriotismus umzuwandeln, der schlussendlich in Nationalismus, Verfolgung und Kriegen endete. Der Bürgerkrieg am Balkan mit dem Zerfall Jugoslawiens war hoffentlich das letzte Kapitel des Versuchs einer ethnischen Säuberung auf europäischen Boden.
Die zentrale Frage des diesjährigen Kongresses - „Sind wir alle Europäer oder ist noch Platz für Volksgruppen?“ – stellt sich für mich in dieser Form nicht. Es gibt hier kein „Entweder/Oder“. Für mich gibt es hier nur ein „Sowohl/Als-auch“, ganz nach dem Gedanken von Heraklit von Ephesos, der von der „Einheit in der Vielfalt“ spricht. Die Europäische Union soll nach meinem Verständnis diese Einheit in der Vielfalt sein.
Kärnten im Schnittpunkt dreier Kultur- und Sprachkreise ist prädestiniert, die Vielfalt zu leben. Und sie wird auch gelebt in vielen Facetten, auch wenn die Frage der zweisprachigen Ortstafeln in Südkärnten immer wieder für Diskussionen sorgt. Bei der Förderung seiner slowenischen Volksgruppe braucht Kärnten keine internationalen Vergleiche zu scheuen. Aber in einer aufgeklärten Gesellschaft geht es um mehr, als nur um Förderungen. Der Umgang mit einer Minderheit zeigt sich auch daran, wie sichtbar sie von der Mehrheit gemacht wird.
Exponenten der Minderheit und der Mehrheit haben im Rahmen der sogenannten „Konsensgruppe“ zur Lösung der Frage im konstruktiven Dialog zusammengefunden und bilden ein homogenes Ganzes ohne Aufgabe der eigenen Identität. Was hier so hochtrabend klingt heißt auf gut kärntnerisch ganz einfach „beim Reden kommen die Leut´ z´sammen“.
Positive Entwicklungen, sowohl für die Mehrheits- als auch für die Minderheitsbevölkerung können nur dort stattfinden, wo Sprache und Dialogfähigkeit im gegenseitigen Miteinander gepflegt werden.
Wo hingegen Einfalt über die Vielfalt siegt, wo geistige Schranken errichtet statt beseitigt werden und wo Einsprachigkeit der Mehrsprachigkeit das Wort geredet wird, lauert wieder die große Gefahr der kultur- und gesellschaftspolitischen Spaltung mit allen damit verbundenen negativen Auswirkungen.
Der Europäische Volksgruppenkongress des Landes Kärnten versteht sich als Beitrag zu Verständigung, Dialog und Toleranz.
Und allen Tendenzen und Strömungen dagegen muss im Sinne von Volksgruppen, ethnischen Minderheiten, und einer aufgeklärten Gesellschaft couragiert entgegengetreten werden.
Die Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der Beziehungen zwischen deutsch- und slowenisch sprechender Kärtntnern ist die beiderseitige Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog, wobei die Verantwortung dafür beide Seiten in gleicher Weise trifft; Nehmen wir diese Verantwortung wahr.
Foto: SPÖ Kärnten