Von Bernhard Torsch, 10.10.2016
Oktober, später Nachmittag. Wir treffen Alexander Van der Bellen am Flughafen Klagenfurt, wo er nach einem langen Tag voller Termine und Gespräche immer noch hellwach ist und neben klaren politischen Ansichten auch einen seltenen Blick auf sein Privatleben bietet.
Mein Klagenfurt:Heute ist Welthundetag. Sie haben selber zwei Hunde. Sehen Sie die noch oft genug im Wahlkampfstress?
Alexander van der Bellen: Nicht so oft, wie es mir lieb wäre, da sie bei meiner ersten Frau im Burgenland leben, und von Tirol aus sind das dann doch an die 600 Kilometer, aber alle paar Wochen nehme ich sie mit und dann freuen sich meine zwei Schlingel. Inzwischen haben sie sich sogar an größere Menschenmengen gewöhnt.
Mein Klagenfurt:Reden wir über ein ernsteres Thema. Sie kommen ja aus der Wirtschaftswissenschaft. Europa steckt nun schon seit fast zehn Jahren in einer Wirtschaftskrise und wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit. Halten sie die Sparpolitik, die in ganz Europa betrieben wird, für das richtige Rezept?
Van der Bellen: Nein! Das ist der falsche Kurs. Vor allem Deutschland, das nun einmal die größte Wirtschaftsmacht Europas ist, schadet dem Rest der EU mit seiner Politik, die zur Folge hat, dass andere Staaten nicht aus der Krise kommen. Man muss sich nur Griechenland anschauen. Das Land kommt mit seiner Sparpolitik, die vor allem von Deutschland gefordert wird, seit Jahren nicht vom Fleck. Seit 2009 ist die Staatsschuldenquote in Griechenland nicht gesunken, sondern immer weiter gestiegen. Nicht trotz, sondern wegen der Sparpolitik. Auch der Internationale Währungsfonds sagt, dass Griechenland und andere Staaten auf diese Weise nicht aus der Krise herauskommen werden. Europa muss mehr investieren.
Mein Klagenfurt:Eine lange Wirtschaftsflaute, viele Arbeitslose – das Vertrauen vieler Menschen in die Politik schwindet. Was müssen wir anders machen?
Van der Bellen: Die Politik muss mehr für die sogenannten kleinen Leute tun! Viele fühlen sich zu Recht von der Politik im Stich gelassen. Die EU zum Beispiel hat für gut ausgebildete Schichten sehr viele Verbesserungen gebracht. Gebildete junge Leute haben heute Chancen, von denen ich nur träumen konnte. Niederlassungsfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes in der ganzen EU sind tolle Fortschritte. Aber davon haben viele einfache Leute nichts. Wir alle, die österreichische Politik und auch die EU, müssen viel mehr für die machen, die von den Freiheiten der EU nicht oder kaum profitieren. Nicht nur die Eliten, sondern alle Menschen sollen etwas von Europa haben. Beispielsweise sollte der Sozialstaat nicht abgebaut, sondern eher ausgebaut werden.
Mein Klagenfurt: Derzeit diskutiert man darüber, wie viel man Asylsuchenden für gemeinnützige Arbeit bezahlen soll. Halten Sie 2,50 Euro, wie von der ÖVP gefordert, oder sogar gar keine Entlohnung für gerecht?
Van der Bellen: Einmal abgesehen von der moralischen Frage, dass jeder, der arbeitet, dafür auch bezahlt werden sollte ist es grundsätzlich richtig, dass Asylsuchende etwas zur österreichischen Gesellschaft beitragen. Auch wenn sie dafür nur ein Taschengeld bekommen. Monatelanges Warten und Nichtstun sind nicht so lustig, wie man vielleicht meint. Bei der Sache gibt es jedoch ein großes Aber: Gemeinnützige Arbeit von Flüchtlingen darf nicht zu einer Billig-Konkurrenz für andere Arbeiter werden! Deswegen muss auch genau definiert werden, was eigentlich unter gemeinnütziger Arbeit zu verstehen ist. Das muss eine Arbeit sein, die keinem anderen den Arbeitsplatz wegnimmt.
Mein Klagenfurt: Wie gehen Sie mit dem zunehmenden Hass im Internet um? Immer mehr Politiker bekommen wüste Drohungen.
Van der Bellen: Ich habe eine einfache Selbstschutzmaßnahme – ich lese das Zeug nicht. Mein Team bringt aber manchmal Sachen zur Anzeige. Allerdings nur Morddrohungen und dergleichen. Normale Schimpfereien zeigen wir nicht an.
Mein Klagenfurt:Was können Sie, falls Sie gewählt werden, gegen Hass und Hetze tun?
Van der Bellen: Der Bundespräsident allein wird da nicht allzu viel ausrichten können. Aber ich werde daran erinnern, dass Österreich immer dann stark war, wenn wir zusammen gearbeitet haben statt gegeneinander. Das gilt für die Dorfpolitik ebenso wie für Europa und die Welt.
Mein Klagenfurt:Was macht Ihnen derzeit weltpolitisch besonders viele Sorgen?
Van der Bellen: Abgesehen von Krieg und Hunger finde ich Donald Trump schlimm. Es ist erschreckend, dass sich seriöse Politiker den Mund fusselig reden können und man glaubt ihnen nicht, aber wenn der Trump reinen Unsinn quatscht, nimmt man ihm das ab. Aber das hat auch mit dem zu tun, worüber wir schon sprachen. Dass sich nämlich viele Menschen im Stich gelassen fühlen. Oberstes Gebot der Politik sollte aber sein, niemanden zurück zu lassen.
Mein Klagenfurt:Sie gelten im Gegensatz zu ihrem EU-kritischen Herausforderer Norbert Hofer als pro-europäisch. Wie wollen Sie den EU-feindlichen Menschen Europa schmackhaft machen?
Van der Bellen: Oh, kritisch bin ich sehr wohl auch, aber ich sehe halt auch die vielen Vorteile der EU. Gerade als Tiroler. Mein Bundesland war lange schmerzhaft entzweit, aber seit dem Autonomiepaket und vor allem seit der EU hat sich die Situation ungemein entschärft. Die Tiroler wissen daher auch zu schätzen, was die EU erreicht hat. Vielleicht muss man es erst erleiden, was Grenzen, die ein Land teilen, wirklich bedeuten, um zu wissen, was man am Wegfall der Grenzbalken hat.