Nachtrag zur Niederlage der Grünen bei den Kärntner Landtagswahlen am letzten Sonntag
von Karsten Krampitz
Als ich im August letzten Jahres Klagenfurt besuchte, schaute ich mir auch eine Wahlkampfveranstaltung der Grünen an, speziell für junge Wähler. Damals ging es noch um den Nationalrat. Leider betrat ich das Stadthaus mit gehöriger Verspätung, aber immer noch rechtzeitig genug, um mir im Kleinmayr-Garten mit hundert oder mehr Jungwählern auf der Wiese „La La Land“ anzuschauen, ein Hollywood-Musical.
Den Grünen geht’s ja gut, dachte ich. Immerhin die Partei, die den Bundespräsidenten stellt. Einige Aktive waren mir noch bekannt von der Wahlparty 2013 im Napoleonstadl, als sie mit Rolf Holub, dem Hyposkandalaufklärer, über 12 Prozent geholt hatten, während die Blauen weit mehr als 28 Prozent verloren hatten. Hat es das jemals gegeben, dass eine rechte Partei in freien Wahlen derart abgestürzt ist? Dementsprechend fiel auch der Umtrunk aus. Alle waren glücklich an dem Abend, lagen sich in den Armen, waren alle hackevoll. Aber ein jegliches hat seine Zeit.
Im Sommer 2017 war alles anders, wie nach einer Zeitenwende, einem Klimawandel. In Kärnten und Österreich, in ganz Europa war es kälter geworden. Die angebliche Flüchtlingskrise hatte die Gedankenwelt der Leute massiv verändert. Und zwar nicht zum Guten. Leute, von denen man es nie gedacht hätte, redeten wirres Zeug über illegale Masseneinwanderung und „Umvolkung“. Auch in Klagenfurt. Für Parteien wie die Grünen, nennen wir sie links, gab es jetzt nichts mehr zu gewinnen – nur zu verteidigen: ihre Mandate in den Parlamenten, aber auch die Grundrechte. Pressefreiheit, Demonstrationsrecht, das Recht auf Asyl – all das wird von der Rechten eher früher denn später radikal infrage gestellt. Das war absehbar. Was aber tun die Klagenfurter Grünen? Sie schauen „La La Land“.
Nichts gegen Kino. In Berlin haben wir im Wahlkampf immer die „LINKE Kinonacht“ – mit den Toten Crackhuren im Kofferraum, promibesetzten Diskussionsrunden und Filmen wie „Kuhle Wampe“ oder „Land and Freedom“ oder „Wem gehört die Stadt?“ Es soll rocken. Und ein bisschen Elektropunk schadet nie. Bands wie die Crackhuren haben keinen intellektuellen Anspruch. Wer dazu aber Pogo tanzt, ist für die AfD verloren. Und genau darum geht’s bei der Filmauswahl: die Schnarchnasen der „Generation Y“ sollen ein Gefühl bekommen von linker Identität. – Die Berliner Grünen handhaben das ähnlich; die haben sogar noch bessere Kontakte in die Kulturszene, zu Musikern und Filmleuten (obwohl die LINKE den Kultursenator stellt).
Wer sehr gut passt zu den Grünen, aber das ist meine Meinung: Tom Liwa mit seinem Song „Für die Linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu schnell.“
https://www.youtube.com/watch?v=7mmcEtzQryY
Die Grünen in Deutschland und in Österreich tragen zwar den gleichen Namen, sind aber bei weitem nicht dieselbe Partei. Die deutschen Grünen blicken auf eine andere Geschichte zurück. Sie stammen nicht einfach nur aus den Neuen Sozialen Bewegungen, ähnlich den Grünen in Österreich – in Westdeutschland und Westberlin haben sie ihre Wurzeln aber auch in der Hausbesetzer- und Anti-AKW-Bewegung der Achtzigerjahre. In ihrer Mitgliedschaft gibt es auch noch ein paar DDR-Oppositionelle, will heißen: Die deutschen Grünen hatten in ihrer Vergangenheit mitunter wirklich harte Auseinandersetzungen durchzustehen.
Nicht so die Grünen in Österreich: Die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung ist hier etwas komplizierter als bei den Piefkes, aber auch kürzer: Anno ‘78 warb die regierende SPÖ für die Inbetriebnahme des gerade gebauten Atomkraftwerks Zwentendorf, ließ aber einen Volksentscheid zu, den die AKW-Gegner (unter ihnen auch die FPÖ!) für sich entschieden. Und zwar für immer. Seither gibt es in Österreich keine AKWs. Für diesen historischen Erfolg hat es die Grünen als Partei nicht gebraucht. Und weil der Staat Österreich der Neutralität verpflichtet ist, hat es hier in den Achtzigerjahren auch keine Friedensbewegung, keine Massenproteste gegen die NATO-Hochrüstung gegeben.
Wie so vieles haben sich bei uns auch die Grünen verändert: von einer radikal basisdemokratischen Bewegung, die sozial, ökologisch und pazifistisch sein wollte, hin zu einer linksliberalen Karriere-/Erwerbsgemeinschaft, die sich den Unterschichten komplett entfremdet hat. Ihre Funktionäre und Mandatsträger würden aber nie ihren Jugendverband rausschmeißen. In der Politik gehört es seit jeher zum Ritual, dass der Nachwuchs gegen die Mutterpartei rebelliert. Bei den Sozen ist es mit den Jusos, ebenso bei der CDU und der Jungen Union etc. Doch egal wie heftig der Konflikt ausgetragen wird, irgendwann fällt auch der „wildeste“ Jungspund über die „Bioklippe“, über die Altersgrenze des jeweiligen Jugendverbandes. Wer von den Jungen eine politische Zukunft haben will, sucht eher früher denn später einen Modus Vivendi mit der Mutterpartei. Kevin Kühnert, der Juso-Chef, der jüngst den Protest gegen die Bildung einer Großen Koalition angeführt und nahezu die gesamte Parteispitze in Bedrängnis gebracht hat – auf ihn wartet in der deutschen Sozialdemokratie eine glänzende Karriere (jedenfalls solange es die SPD noch gibt).
Die Grünen in Österreich aber, die derzeit aus den Parlamenten fliegen (erst aus dem Nationalrat, jetzt auch aus dem Landtag in Kärnten; im Bundesrat haben sie gerade ihren Klubstatus eingebüßt), diese Partei hat sich ihren Lebensfaden selbst abgetrennt! Es scheint: Nachdem die Grünen mit einem Bundespräsidenten Alexander van der Bellen ihre historische Mission erfüllt hatten, waren Apparat und Bundessprecherrat von einer merkwürdigen Todessehnsucht heimgesucht worden. So geschehen im vergangenen Jahr im Streit um eine dämliche Hochschulliste, die nicht einmal die Studenten interessierte. Eine solche Selbstverstümmelung – aus nichtigem Anlass! – sucht ihresgleichen.
Exkurs Parteijugend
Die Abspaltung einer Parteijugend von der Mutterpartei hat es in Deutschland nur einmal gegeben: im Jahr 1982, als die FDP-Bundestagsfraktion mitten in der Legislaturperiode die Wende vollzog von der sozialliberalen Koalition Schmidt/Genscher hin zur unionsgeführten Bundesregierung unter Helmut Kohl. Die Liberalen haben damals einen hohen Preis zahlen müssen, nicht nur ihren linksliberalen Flügel verloren, sondern auch ihren Jugendverband, namentlich: die Jungdemokraten, die dann als parteiunabhängiger Jugendverband noch bis in die jüngste Zeit existierten. Ehemalige Jungdemokraten findet man heute in der SPD, den Grünen und sogar in der LINKEN. Die Jungdemokratin Claudia Roth wurde gerade für die Grünen zur Vizebundestagspräsidentin gewählt. Ein ehemaliger Bundesvorsitzender der Jungdemokraten ist heute in Thüringen Minister für Kultur und für Bundes- und Europaangelegenheiten und gleichzeitig Chef der Staatskanzlei - und zwar für die Linkspartei. Man darf gespannt sein, welchen Weg in Österreich die abtrünnigen Jungen Grünen wohl nehmen werden. Der kurze Flirt mit der KPÖ war ganz sicher nicht das letzte Wort.
Warum die Grünen wählen?
Menschen wählen Parteien nicht ihrer Programme wegen; Menschen wählen Erzählungen. Peter Kaiser, der am Sonntag für die Sozialdemokraten in Kärnten einen Erdrutschsieg erkämpft hat, fast 48 Prozent, d.h. die Hälfe aller Landtagsmandate – er steht für eine ganz bestimmte Erzählung: Bescheidenheit, Bodenständigkeit. Kaiser ist der kleine Bub geblieben, der als Kind neben dem Kindergarten gewohnt hat, aber nicht hineindurfte, weil die Eltern nicht das Geld hatten. Ein Bub, der es dann aus eigener Kraft nach ganz oben gebracht hat. Nachdem die Freiheitlichen mit ihren Heilsbringern Kärnten über Jahrzehnte geplündert hatten, geben die meisten Kärntner inzwischen lieber einem Langweiler die Stimme, der aber als ehrliche Haut dasteht. Und die ÖVP? Ihre Erzählung hieß Sebastian Kurz – ein bisschen wenig. Das „Team Kurz“ hätte in Klagenfurt wenigstens noch die Landtagswahlen abwarten sollen, bevor es sein Büro am Neuen Platz räumt. „Bürgerbewegung“ geht anders.
Und die Grünen, für welche Erzählung stehen sie? Vielleicht wird es eines Tages heißen: „Wisst Ihr noch, als die Demokratie vor die Hunde ging, als die Blauen die Kontrolle über Polizei, Armee und Geheimdienste übernommen hatten – die Grünen waren mit sich selbst beschäftigt. War das ein zerstrittener Haufen.“ In Klagenfurt, ihrer der einstigen Hochburg, wo sie im Februar 1987 gegründet wurden, erreichte die Partei gerade noch etwas über 5 Prozent. Von den 39.000 Grünwählern im Jahr 2013 hielten noch 7.000 der Partei die Treue. Laut ORF gaben diesmal 13.000 ehemalige Grünwähler der SPÖ ihre Stimme, während ganze 14.000 daheim blieben.
Wahlkampf und Wahlfrieden
Wenn ein paar Hippies aus Villach im „Wahlfrieden“ aus dem Stand heraus 1,9 Prozent schaffen, mit einem Namen wie „Verantwortung Erde“, ahnt man, wieviel für die Grünen noch zu retten gewesen wäre. Nur hatte eben keiner die Eier…
Wenn der ÖVP-Landesrat für Kultur einen latent deutschnationalen Vereinsfritzen zum „Botschafter der Kärntner Volkskultur“ ernennt, so geschehen am 9. Februar 2018 mit Dieter Fleiß, dem Obmann des Kärntner Schulvereins Südmark, dem Nachfolger des Deutschen Schulvereins, dann liegt der Ball für die Grünen auf dem Elfmeterpunkt. Das Kulturverständnis eines Christian Benger ist ein Skandal. Ein Angriff auf seine Niedertrachtenkultur hätte die Künstler der freien Szene für die Grünen mobilisieren können. Die Volkskultur wählt ohnehin nicht grün. Rolf Holub aber, der als Kabarettist selbst aus freien Kulturszene kommt, hatte eine Debatte dazu offenbar nicht nötig. Nur dass dann Künstler wie Richie Klammer von den Tolltones und Oliver Welter von Naked Lunch zur Wahl von Peter Kaiser aufgerufen haben. Offenbar mit Erfolg.
Ein anders Beispiel: Wenn ein Gernot Darmann, früher BZÖ, dann FPK und jetzt wieder FPÖ, mit Blick auf den Hyposkandal nicht müde wird, von einem „Boxenstopp“ seiner Partei zu reden, wäre es der Job der Grünen gewesen, die blaue Bilderwelt zu dekonstruieren:
„Liebe Kärntnerinnen und Kärntner, unter einem Boxenstopp versteht die Sportwelt die kurze Unterbrechung eines Fahrzeugs während eines Rennens; Reifen werden ausgewechselt usw. Wenn aber ein freiheitlicher Landeshauptmann erst abgewählt und dann vor Gericht kommt (und mit ihm zwei seiner Landesräte und noch dazu ein ÖVP-Landesrat), dann ist das kein Boxenstopp im Politikbetrieb, sondern die Ahndung krimineller Vergehen.“
Wenn die SPÖ in ihrem Kärntner Wahlprogramm vom „Schutz der eigenen Bevölkerung“ schreibt und damit suggeriert, es gäbe eine Bedrohung durch eine andere Bevölkerung – hätten die Grünen das öffentlich richtigstellen müssen. Die Stimme der Grünen wird nicht nur fehlen, sie hat gefehlt. Und das ist so unendlich traurig.
Als in Klagenfurt vor einigen Wochen die Debatte losging um rassistische Tendenzen im Fasching, konkret bei den „fröhlichen Stadtrichtern zu Clagenfurth“, hüllten sich die Grünen in Schweigen. Und nicht nur das! Im Programmheft der Stadtrichter war Grünen-Stadtrat Frank Frey mit einem Grußwort vertreten: „Es wird gerichtet über die Arbeit, die wir im heurigen Jahr geleistet haben….“ Bla, bla. Das Urteil der Stadtrichter sei für ihn „Ansporn, mich noch mehr für unser schönes Klagenfurt zu engagieren.“ So, so. Gegenüber der Kleinen Zeitung erklärte Frank Frey nach der Niederlage am Sonntag, dem Rauswurf aus dem Landtag: „Es ist ein trauriger Tag für uns.“ Der Gegenwind sei viel zu stark gewesen. Man werde in Zukunft kürzere und griffigere Botschaften anbieten müssen. Er sei aber überzeugt, dass die „Grünen-Inhalte“ gefragt seien.
Inhalte statt „La La Land“, das wäre doch mal ein Anfang. Die Grünen brauchen eine neue Erzählung.
Karsten Krampitz ist Schriftsteller und Historiker aus Berlin. 2009 gewann er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Publikumspreis und war im Jahr darauf Klagenfurter Stadtschreiber. Im Drava-Verlag erscheint in wenigen Wochen die von ihm herausgegebene Klagenfurt-Anthologie „Drei Wege zum See oder die andere Stadt“.